Berichterstattung über Protest
Aktivismus in der medialen Aufmerksamkeitsökonomie
Tobias Prüwer
„Es ist unglaublich, was man mit einem gut gepflegten Katastrophengefühl alles anfangen kann. Man kann aus ihm viel billige Münze schlagen, die dann als Wechselgeld in allen Bereichen des täglichen Lebens umläuft.“1
„Islam-“ und „Coronakritiker“, „besorgte Bürger“ und „Klimaskeptiker“: Ein ganzes Heer neuer Protestierender belagert 2020 die öffentlichen Räume und Diskussionen. Zumindest suggeriert das das von ihnen gezeichnete mediale Bild. Dabei wird auf der Straße und in den Kommentarspalten nur alter Wein in neuen Schläuchen gereicht: Diese Mischszene kam schon bei den „Montagsdemonstrationen“ und dem „Friedenswinter“ zusammen, wo vermeintlich Linke mit Reichsbürger:innen und anderen Völkischen eine Querfront bildeten. Verschwörungsmythen und Impfverweigerung geben dem aktuell einen grün-esoterischen und bildungsbürgerlichen Touch. Die gleiche Hydra hebt nur ein weiteres Haupt und doch ist ihre mediale Darstellung von Verwunderung und Aufschrecken geprägt. Währenddessen kommen emanzipatorische Projekte und Aktionen in der Berichterstattung häufig zu kurz, selbst wenn sie mehr Menschen mobilisieren. Warum das so ist, soll in diesem Beitrag knapp abgehandelt werden. Wie progressive Aktivist:innen versuchen können, die eigene Medienwahrnehmung positiv zu beeinflussen, soll hingegen ausführlicher diskutiert werden.
Währenddessen kommen emanzipatorische Projekte und Aktionen in der Berichterstattung häufig zu kurz, selbst wenn sie mehr Menschen mobilisieren.
Zeigen die Medien, was ist? – Zur Schieflage der medialen Repräsentation von politischen Protesten
Die Veränderung begann 2014. Augenreibend musste man beobachten, wie sich Demonstrant:innen montags etwa in Leipzig für ein bisschen Frieden einfanden. „Wir sind keine Nazis, keine Antisemiten. Wir sind Menschen“, erklärten sie und: „Mit Politik will ich nichts zu tun haben!“2 Neben solchen unterkomplexen Äußerungen dieser Besorgten wurden extrem rechte Forderungen laut, es wurden Reichsbürger:innen-Positionen vertreten, von Antisemitismus durchtränkte Tiraden richteten sich gegen Projektionen einer gelenkten Medienlandschaft und oligarchischen Globalisierung.
Während rasch Kritik von links kam, in Leipzig etwa riefen mehrere Gruppen zur „kritischen Begleitung“ auf, reagierten Journalist:innen ziemlich distanzlos. Man wollte irgendwie ins Gespräch kommen, gerade mit denen, die sie beleidigten. Gegendemonstrant:innen wurden oft genug nur als störend wahrgenommen.
Man schaut zu, hält das Mikrophon hin.
Grundlegend hat sich daran bis heute nichts geändert. Das Schema lief beim Auflaufen von Pegida und seinen diffusen Ablegern ab, bei Auftritten der AfD genauso wie bei rassistischen Demonstrationen gegen die Flüchtlingspolitik. Man schaut zu, hält das Mikrophon hin. Erst, wenn offenkundig ist, dass sich nicht nur eine Handvoll Rechte untergemischt hat, wird der Ton etwas kritischer. Auch bei den Demonstrationen gegen die Pandemiemaßnahmen 2020 ist das zu erleben, wobei zumindest überregionale Medien diesmal schneller waren mit der Einordnung. Dieses wiederkehrende Muster resultiert aus einem Bündel von Gründen – individuellen und strukturellen.
Neutralitätsmythos
Das Ideal der distanzierten Journalist:innen ist naiv. Keine Erkenntnis ohne Interesse: Niemand ist frei von Vorurteilen, Neigungen, Überzeugungen. Der Platz in der Gesellschaft – Schicht/Milieu/Klasse – spielt eine Rolle; „männlich, weiß, heterosexuell“ bildet auch bei der schreibenden Zunft den Normalfall. Das kann politische Präferenzen prägen. Reflektieren Journalist:innen das nicht, blicken sie wohl oder übel mit Scheuklappen auf die Dinge.
Besorgte Bürgerlichkeit
Aus ihrer bourgeoisen Perspektive mögen viele Journalist:innen kaum glauben, dass auch vermeintlich „normale“ Bürger:innen extrem rechts sein können. Die Assoziation von Neonazis in Springerstiefeln beherrscht bis heute nicht nur das mediale Bild, sondern auch die Köpfe mancher Medienschaffenden. Das führt dazu, nazistische Äußerungen als Ausdruck von Unzufriedenheit zu interpretieren, statt die Sprechenden beim Wort zu nehmen. Im Osten kommt hinzu, dass es natürlich biografische Kränkungen gibt und gab und jede:r hier Lebende jemanden kennt, die/der sich vom Westen ungerecht behandelt fühlt. Daher haben Journalist:innen hier ein gewisses Grundverständnis für Unzufriedenheit aller Art.
Hufeisenmodell
Die Extremismusformel von der neutralen Mitte und den extremen Rändern führt zu falsch verstandener Ausgewogenheit. Journalist:innen glauben, neutral zu sein, wenn sie Abstand zu beiden Seiten – oder was sie darunter verstehen – einhalten. Die imaginierte Mitteposition suggeriert ihnen, „für alles offen sein“ zu können und den sorgenvollen „Normalbürger:innen“ nah zu sein. Daher sah man bei der Leipziger Volkszeitung auch kein Problem, zum Streitgespräch über einen neurechten Kulturamtsleiter eine Buchhändlerin mit Nähe zu Pegida und dem Institut für Staatspolitik einzuladen.3
Die imaginierte Mitteposition suggeriert ihnen, „für alles offen sein“ zu können und den sorgenvollen „Normalbürger:innen“ nah zu sein.
Valenz
Die vermutete Meinung der Leserschaft, jene vorgestellte Mitte, entscheidet über den Nachrichtenwert. Also darüber, ob und wie ein Thema aufgegriffen wird. Der kommunale Wille zur Aufnahme von Asylsuchenden ist dann höchstens eine Meldung wert; wer hält das schon für eine gute Botschaft? Ausführlich wird im Juni 2020 über rechte, lange jedoch als bürgerlich wahrgenommene Proteste entlang der Bundesstraße B96 berichtet, während die Gegenaktionen „Karawane der Vernunft“ sofort zum Skandal wurde. Als in Altenburg 2016 eine mit Verschwörungstheorien gespickte Ausstellung über 2.000 Jahre deutsches Opfertum eröffnete, brachte erst Berichterstattung von außen Kritik – das Lokal des Verantwortlichen war im städtischen Tourismuskalender beworben.4
Stallgeruch
Die räumliche Nähe der Regional- und Lokalmedien zur Politik kann abfärben. Lokaljournalist:innen sind Teil der kommunalen Gemeinschaft. Und die möchte bei Skandalösem wie rechter Gewalt nicht ins schlechte Licht gestellt werden. Das führt bei Lokalredakteur:innen zur Tendenz, Sachverhalte zu relativieren, oder erzeugt den Druck, als Nestbeschmutzer:in zu gelten. Zusätzlich herrschen in Regionen mit rechten Hegemonien andere Normalitäten, wird über Sachen als alltäglich berichtet, die man andernorts skandalisieren würde. Das erklärt, warum gerade in Sachsen lokale Medien und Politik erst reagieren, wenn überregionale Medien etwas vor Ort thematisieren. Dass Reichsbürger:innen etc. sich an der B96 aufreihten, fiel hier erst auf, als bundesweit Medien ihren Blick auf Ostsachen richteten.
Zusätzlich herrschen in Regionen mit rechten Hegemonien andere Normalitäten
Distanz und Relevanz
Getreu dem Motto „Sieh, das Gute liegt so nah“ entsteht die mediale Bedeutsamkeit von Ereignissen auch aus räumlicher Nähe. Das erklärt, warum die zahlenmäßig mickrigen B96-Proteste oder „Hygiene-Demos“ mit 80 Leuten in Pirna im Juni 2020 von den Lokalmedien so stark aufgegriffen und immer wieder beleuchtet wurden, während man über bundesweite Proteste wie Fridays for Future oder die Seebrücke, an denen sich auch Menschen aus der Region beteiligten, zwar berichtete, aber keinesfalls so intensiv.
Aufmerksamkeitsspirale
Überregionale Berichterstattung ist notwendig, damit Dinge vor Ort überhaupt wahrgenommen werden. Allerdings steigert das auch den Resonanzraum. Lokale Medien berichten dann erneut über die Besorgt-Bürger:innen, aber zumeist unkritisch verharmlosend. So fragte die Leipziger Volkszeitung die Bürgermeister:innen von Gemeinden an der B96: „Verstehen Sie diese Leute?“. Die Politiker:innen hatten dann Gelegenheit, vom feinen Gespür der Sachsen für Gerechtigkeit zu schwärmen.5 Auf überregionale Medienpräsenz reagiert die Politik mit Relativierung. Meister darin ist Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, immer bereit zum Gespräch mit besorgten Bürger:innen, aber Gegenproteste meidend, weil er dort „Linksextremist:innen“ vermutet. Sein Medienverständnis spiegelt auch die regionale Berichterstattung: Er wünscht sich, „dass überregionale Medien näher an den Osten heranrücken. […] je weiter die Redaktionsstuben entfernt seien, desto unschärfer, aber härter würde deren Urteil ausfallen.“6
Uninformiertheit
Nicht alle Journalist:innen sind informiert – oder lassen zumindest in Artikeln keine Kenntnisse erkennen, wenn sie entsprechende Einordnungen unterlassen. So berichtet ein Journalist über Trauernde in Wurzen, ohne sie als einschlägige Neonazis zu beschreiben, die vielleicht eben nicht spontan Trauer bekunden.7 Ein anderer schreibt, die „Bewegung Leipzig“ würde sich von Rassismus distanzieren, ohne zu erwähnen, dass dort der als extrem Rechter bekannte Stephane Simon (ehemals „Gohlis sagt nein“, Pegida) eine Rede hielt.8 Kannte ihn der Journalist nicht oder wollte er das nicht einordnen? Die Grenze zwischen Uninformiertheit, schlechtem Handwerk und bewusster Verweigerung ist fließend.
Der Versuch, durch Einbinden von rechten Positionen Objektivität zu gewährleisten, ist naiv wie gefährlich.
Fazit: Der Versuch, durch Einbinden von rechten Positionen Objektivität zu gewährleisten, ist naiv wie gefährlich. In Wirklichkeit machen sich solche Medien gemein mit dem, was sie als „Volkes Stimme“ identifizieren. Sie erfüllen eine gesellschaftliche Funktion, die mehr im Wegsehen als in Aufklärung besteht, wenn an der „Mitte“ gerührt wird. Guter Journalismus ist engagiert, nicht teilnahmslos, kritisch, nicht diskriminierend. Demokratie ist kein neutraler Standpunkt, Journalismus kann darum nicht neutral sein. Zur Not muss man die Journalist:innen darauf hinweisen.
1Sieburg (2010): 77.
2Prüwer (2014a, 2014b).
3Mania-Schlegel (2020a).
4Seyfarth (2016).
5Mania-Schlegel (2020b).
6MDR (2019).
7Latchinian (2020).
8Meine (2020), Freitag (2020), Prüwer (2014a).
>>Seite 2 | Was tun? Den rechten Spin durchbrechen
Aus der Publikation „Politisch Handeln im autoritären Sog“
2020 | Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen, Kulturbüro Sachsen und Netzwerk Tolerantes Sachsen | Förderhinweis | ISBN / DOI 978-3-946541-39-4 | CC-BY-NC-ND 3.0