Wer Menschen verwurzelt, entmündigt sie
„Heimat der Weltoffenheit“?
Zivilgesellschaftliche, linke und migrantische Akteur:innen haben versucht, als Antwort darauf eine pluralistische Definition von Heimat starkzumachen. So plädierte Ferda Ataman für „eine Heimat-Idee, die alle mitnimmt“, eine „Heimat der Weltoffenheit“.11 Sergey Lagodinsky forderte, den Begriff „positiv, bunt, offen und nachhaltig“ zu besetzen, denn „Heimat ist, was man aus Heimat macht“.12 Jene Stimmen wollen im Grunde über die postmigrantische Gesellschaft diskutieren, verbleiben dabei aber im Diskurs der Rechten und bedienen sich mit „Heimat“ einer ethnisch-kulturellen Gemeinschaftsvorstellung, deren historischer Kern in der völkischen Bewegung liegt. Das Konzept Heimat kann in seiner spezifisch deutschen Semantik13 die geforderte Weltoffenheit und Diversität gar nicht zulassen, weil es sonst seine Funktion als identitätsstiftendes Konzept der Vergemeinschaftung verlieren würde. Das Problem liegt also nicht zuallererst darin, dass auch Rechte und Neonazis sich auf Heimat beziehen, sondern im Konzept selbst. Heimat ist kein offener Begriff, den man beliebig füllen kann, sondern er hat eine Geschichte und eine Bedeutung. Es geht um die „Autorität von Tradition und Kultur“14 gegenüber gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen und um die Bewahrung einer spezifischen sozialen Ordnung: Weil es schon immer so war. Ein Blick auf die personelle Zusammensetzung des Heimatministeriums, in dessen Führungsriege ausschließlich weiße, männliche Staatssekretäre und Abteilungsleiter sitzen, veranschaulicht diese soziale Ordnung, die gewahrt werden soll. Sie versinnbildlicht darüber hinaus Heimat als eine Kategorie des Patriarchats. Denn die Heimat ist weiblich: Die Mutter, die Zuhausegebliebene. Wie die Ehefrau, die auf den Mann wartet, der in die Ferne zieht und kämpft (oder arbeiten geht). Sie wird von Vater Staat beschützt – und zugleich beherrscht. Sie ist der männliche Blick auf Weiblichkeit, dem Zugriff der Männer unterworfen.15
Im Heimatdiskurs der Rechten verbindet sich dieser Antifeminismus mit Rassismus: Männer wollen nicht nur ihre Frauen und ihre Heimat vor (männlichen) Einwanderern beschützen, sondern auch ihre Frauen als ihre Heimat.16 Es geht darum, die vermeintlich natürliche Geschlechterordnung zu erhalten: „Heimat. Familie. Zukunft.“, so fasst die sächsische AfD ihre Bevölkerungspolitik zusammen.17 „Heimat bewahren“, wie es AfD und Dritter Weg als Antwort auf Einwanderung plakatieren, beinhaltet zudem den Ruf nach kultureller und ethnischer Homogenität und trägt somit die Bereitschaft zum Totschlag bereits in sich. Aber auch über dieses politische Milieu hinaus wird die Forderung nach „Bewahrung“ der Heimat aufgestellt, und das bedeutet die Aufrechterhaltung oder Herstellung kultureller Hierarchie im Sinne von Leitkultur, mit all ihren notwendigen Ausschlüssen und Diskriminierungen. „Eure Heimat ist unser Alptraum“ lautete dementsprechend eine Intervention aus postmigrantischer Perspektive in die Debatte.18
Für die Versuche, einen inklusiven Heimatbegriff zu entwerfen, gilt das, was Michael Wildt in Bezug auf den Volksbegriff formuliert hat:
„Der Rückzug auf ein staatsbürgerliches Verständnis von Volk und Demokratie ist ehrenwert, verdeckt jedoch, dass die ,völkische‘ Auffassung des Volkes möglich ist und, wenn sie vom Volk gebilligt wird, ,demokratisch‘ legitimiert verwirklicht werden kann.“19
Auch Heimat trägt diese Möglichkeit in sich. Ihr völkischer Kern besteht in der Annahme, dass es eine natürliche Verbindung von Menschengruppen zu einem bestimmten Ort gibt, der ihr Wesen prägt und auf den sie ein angeborenes Recht haben. Das „Recht auf Heimat“ – abgesehen davon, dass die Vertriebenenverbände darunter bis heute den Anspruch auf die „deutschen Ostgebiete“ verstehen – verweigert dabei zwangsläufig anderen jenes Recht. Vor allem denjenigen, denen aufgrund von Kriegen, Klimawandel und Kapitalismus nicht das Privileg vergönnt ist, an einem sicheren und ruhigen Ort zu leben. Gegen jene Verlierer:innen der Verhältnisse muss das Privileg verteidigt werden, während ihnen im Gegenzug nur Anspruch auf den Ort zugesprochen wird, aus dem sie geflohen sind. Heimat kann als Wert nur Bedeutung haben in einer Welt, in der zugleich Millionen Menschen auf der Flucht sind. Und jene sind eben nicht nur aus ihrer Heimat geflohen, sondern oft auch vor ihrer Heimat, nämlich einer spezifischen Vorstellung davon, in der sie und ihre Angehörigen keinen Platz hatten.
Der potentiell ausschließende Charakter von Heimat geht dabei noch über den der Nation hinaus, denn bei Heimat gibt es keinen juristischen Anspruch auf Zugehörigkeit. Wenn nur ein von der Mehrheit geteiltes Gefühl bestimmt, was Heimat ausmacht, gibt es keine Institution, keine höhere Instanz, auf die sich die Minderheit berufen könnte, die von jener Bestimmung ausgeschlossen wird. Dieser Ausschluss wirkt auch nach innen: In der durch Umfragen belegten mehrheitlichen Abneigung und Gewaltbereitschaft gegenüber Außenseiter:innen offenbart sich der autoritäre Charakter solcher vermeintlich harmonischen Gemeinschaftsvorstellungen.20 Abweichende Lebensentwürfe, das Bedürfnis, „anders“ zu sein, der Wunsch nach Emanzipation: All das hat hier keinen Platz, denn der Sehnsuchtsort lebt davon, dass es in ihm keinen Streit und keine Widersprüche gibt. Die Liebe zur Heimat, die so unschuldig und friedlich daherkommt, trägt also den Hass auf alles, was die vermeintliche Idylle stört – das Fremde, Störenfriede, Nestbeschmutzer:innen – bereits in sich. Entweder man unterwirft sich dieser Gemeinschaftsvorstellung – oder man schaut, dass man wegkommt. Heimatliebe verträgt weder Kritik noch Differenz, sondern beinhaltet den Zwang zum Gehorsam.Die AfD in Sachsen fordert in diesem Sinne, „Heimatliebe“ im Lehrplan zu verankern. Es müsse Ziel der schulischen Bildung sein, „ein positives Bild von Sachsen und Deutschland“ zu vermitteln, um eine „positive Identifikation“ herzustellen.21
Wer Menschen verwurzelt, entmündigt sie.
Aber nicht nur Störenfriede bedrohen diese Heimatvorstellung, sondern auch jene wurzellose, globale Elite oder „globalistische Klasse“ (Alexander Gauland, AfD), die nur auf Profit aus sei, ohne Bindung zur Natur, dem Ort und den Menschen. In jener Schuldzuweisung lässt sich – und das keineswegs nur bei Rechten – das antisemitische Moment im Heimatdiskurs finden, das sich im Hass auf den Kosmopolitismus ausdrückt.22 Nicht zuletzt widerspricht die Heimatkonzeption dem Menschenbild der Aufklärung, also der Vorstellung eines rational denkenden Individuums, das vernunftgeleitet und selbstbestimmt handelt. Wer Menschen verwurzelt, entmündigt sie. Wenn die CDU in Sachsen Heimat als den Ort definiert, „an dem ein Mensch seine früheste Sozialisation erlebt und wo seine Identität, Mentalität und Weltauffassung grundlegend geprägt wird“,23 gibt es aus dieser Prägung kein Entrinnen. Wer als Sachse geboren wird, wird immer Sachse bleiben, so denken und fühlen. Jedem Wunsch nach Veränderung, nach Emanzipation, ja schon der Möglichkeit kritischer Reflexion, wird hiermit eine Absage erteilt.
11Ataman (2018).
12Lagodinsky (2018).
13Der Begriff Heimat gilt aufgrund seines Bedeutungsgehaltes – ebenso wie völkisch – als unübersetzbar. In anderen Regionen der Welt werden sogenannte Heimatgefühle ausgedrückt oder Diskussionen über Zugehörigkeit und Identität geführt, ohne dass dort ein vergleichbares Wort wie Heimat existiert noch benötigt wird.
14Weiß (2017): 258.
15Ausführlicher hierzu Bütfering (1990).
16Veranschaulichen lässt sich dieser Zusammenhang u. a. bei aktuellen rassistischen Diskursen zu sexuellen Übergriffen von (vermeintlichen) Migranten auf (vermeintlich) deutsche Frauen.
17Vgl. AfD Sachsen (2020).
18Vgl. Aydemir/Yaghoobifarah (2019).
19Wildt (2017): 11.
20Vgl. Decker/Brähler (2018): 121: „Unruhestifter sollten deutlich zu spüren bekommen, dass sie in der Gesellschaft unerwünscht sind.“ Zustimmung (teils und voll): 85,6 Prozent.
21AfD Sachsen (2019): 33. Mit dieser autoritären Forderung steht die AfD aber nicht alleine da: In der Landesverfassung des Freistaates Sachsen von 1992 wird unter „Grundsätze der Erziehung und Bildung“ ebenfalls „Heimatliebe“ aufgeführt.
22Seit Beginn der Moderne galten „die Juden“ in Europa als „die ‚verkörperte Fremdheit‘, die ewigen Wanderer, der Inbegriff der Nicht-Territorialität, das Wesen der Heimatlosigkeit und Wurzellosigkeit“ (Bauman (1995): 112). Heimat als Gegenentwurf zum Kapitalismus und zum modernen städtischen Leben beinhaltete die Ablehnung des den Juden und Jüdinnen zugeschriebenen Materialismus.
23CDU Sachsen (2018): 2.
>> Seite 4 | Es geht um Gesellschaft, nicht um Heimat
Aus der Publikation „Politisch Handeln im autoritären Sog“
2020 | Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen, Kulturbüro Sachsen und Netzwerk Tolerantes Sachsen | Förderhinweis | ISBN / DOI 978-3-946541-39-4 | CC-BY-NC-ND 3.0