TolSax Update | Oktober 2023

Im Editorial des #TolSax-Updates Oktober betont Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat e.V. in Bezug auf die aktuelle Migrationspolitik die hohe Bedeutung von Bündnissen in Sachsen, die einen kühlen Kopf bewahren und mit sachlicher wie fachlicher Expertise Fake News und rechten Populismus als solchen entlarven. Und auch der restliche Newsletter liefert wie gewohnt wieder viele Anregungen für Euer Engagement im Freistaat. Viel Spaß bei der Lektüre!

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Editorial von Dave Schmidtke, Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.

Liebe Mitglieder, liebe Engagierte,

es wäre eine Untertreibung, in diesem Jahr von Herausforderungen in der Migrationspolitik zu sprechen. Eine kommunale wie bundesweite Krisenstabsitzung jagt die nächste und konservative Politiker_innen aus CDU und FDP fordern neue Beschneidungen des Asylrechts und Grenzen bei der Aufnahme von Schutzsuchenden. Dabei geht es nicht um Grenzkontrollen, sondern um Grenzen, die überschritten wurden im politischen Diskurs beim Thema Asyl. Im Jahr 1993 wurde das Recht auf Asyl bereits de facto abgeschafft – dieser „Asylkompromiss“ wird nun als Erfolg gewertet, als wäre der Anlass dafür nicht die rassistischen Pogrome der 90er-Jahre gewesen. Damals wie im Jahr 2023 reagiert konservative Politik, indem sie sich wachsendem Rassismus fügt und das Recht auf Flucht sowie individuellen Schutzanspruch in Frage stellt. Dabei sprechen die Statistiken eine gänzlich andere Sprache.

Noch nie war die Anerkennung der Schutzsuchenden so hoch wie im vergangenen Jahr: nach der bereinigten Schutzquote erhielten über 72,3 Prozent der Asylbewerber_innen einen Schutzstatus (vgl. Migazin vom 05.03.2023). In Sachsen wurden im Jahr 2022 über 50.000 Ukrainer_innen und ungefähr 12.000 weitere Geflüchtete aus bspw. Syrien, Türkei, Venezuela aufgenommen. Dagegen kamen 2023 im ersten Halbjahr ca. 10.000 Schutzsuchende an, von denen allerdings nur 5.889 Personen im Freistaat unterkamen – alle anderen wurden auf weitere Bundesländer verteilt. Sachsen ist also weder allein mit der Unterbringung der Ankommenden beschäftigt, noch erreichen Sachsen mehr Menschen als 2022.

Dennoch gab es sächsische Landräte, die deutschlandweite Fälle von Kriminalität durch geflüchtete Menschen auf die Agenda setzen statt über eigene Defizite bei der Integrationspolitik oder rechtsextreme Angriffe auf Schutzsuchende – wie bspw. in Sebnitz – zu sprechen. Und selbst die Grünen-Vorsitzende Lang fordert von Innenministerin Faeser (SPD) mehr Abschiebungen und „Fortschritte beim Rückführungsabkommen“.

Dabei bleiben Abschiebungen menschenunwürdig, wie beispielsweise im Fall von Faisal R., der im Juni aus dem Gesundheitsamt in Hoyerswerda nach Pakistan abgeschoben wurde. Wer mehr Abschiebungen fordert, sollte bedenken, dass fast zwei Drittel aller Anträge vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in 2022 positiv beschieden wurden, diese Menschen werden also langfristig in Deutschland bleiben und sich hier ein Leben aufbauen. Unter den abgelehnten Bescheiden erhielten in anschließenden Klageverfahren weitere 40 Prozent einen Schutzstatus.

Menschen fliehen weiterhin aus legitimen Gründen. Und auch im Asylverfahren abgelehnte Personen können individuelle Gründe besitzen, die einen Aufenthaltstitel legitimieren. So wurde am 15. September die schwerkranke Dhespina und ihre Familie nach Albanien abgeschoben. Dabei hatte die 16-Jährige erst vor kurzem ihre Mukoviszidose-Behandlung am Uniklinikum in Dresden begonnen, welche ihre Gesundheit erheblich verbesserte und dadurch auch ihre Lebenserwartung deutlich steigerte. Doch in Zeiten einer generellen Verrohung beim Thema Asyl/Migration scheinen dramatische Einzelschicksale weniger von Bedeutung und treffen auf eine restriktive Behördenkultur in Sachsen.

Die Politik handelt paradox. Zugleich mit den Rufen nach Abschottung und Abschiebungen werden Erleichterungen im Aufenthaltsrecht geschaffen. Die Bundesregierung hat eine Reform verabschiedet, die langjährig Geduldeten endlich eine Perspektive auf Aufenthalt bietet – das Chancenaufenthaltsrecht. Die gute Nachricht dazu: 85 Prozent aller beschiedenen Anträge wurden genehmigt, jedoch ist von den nahezu 4.000 Anträgen in Sachsen gerade mal die Hälfte bearbeitet. Wer jahrelang hier lebenden Geduldeten weiterhin den Zugang zu Arbeit verwehrt, verbaut nicht nur deren Perspektiven, sondern liefert auch den Rechtspopulisten weitere Argumente, indem falsche Stereotype um die „arbeitsunwilligen“ Geflüchteten gestrickt werden.

Umso wichtiger sind Bündnisse im Freistaat, die einen kühlen Kopf bewahren und mit sachlicher wie fachlicher Expertise Fakenews und rechten Populismus als solchen entlarven! Bündnisse, die bis zur Landtagswahl noch enger zusammenrücken, gleichzeitig Netzwerke ausbauen und im Kollektiv daran arbeiten, dass die demokratischen Kräfte in Sachsen mehr gehört werden. Zeichen der Hoffnung gibt es genug, nicht nur die erwähnte hohe Anerkennungsquote, sondern auch die Biografien von Menschen, die längst in Sachsen angekommen sind. Auch wenn dazu natürlich mehr als die Chance auf Arbeit zählt, bedeutet Berufstätigkeit oft, selbständig und unabhängig zu sein. Und wenn inzwischen mehr als 60 Prozent der Schutzsuchenden, die seit 2015 hier leben, in Deutschland einen Job gefunden haben, zeigt dies: die Mehrheit der Geflüchteten ist längst angekommen und wird bleiben – auch in Sachsen!

Viel Spaß bei der Lektüre des Oktober-Newsletters wünscht

Dave Schmidtke, Sächsischer Flüchtlingsrat e.V. | pr@sfrev.de

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Anmerkung: Die Einleitung spiegelt nicht die Meinung des Netzwerkes oder des Sprecher_innenrates wieder, sondern einzig der Verfasser_innen.

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