Stellungnahme: Wir brauchen eine Agenda gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus – und keine Sonntagsreden

Autor_innen: Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) (PM vom 19.08.2020)

Gemeinsame Stellungnahme von dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG), EachOneTeachOne (EOTO) und Bundesverband Mobile Beratung (BMB) und den neue deutsche organisationen (ndo) anlässlich der Anhörungen von Zivilgesellschaft und Wissenschaft des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus.

Bereits im Herbst 2020 soll laut Bundesinnenminister Horst Seehofer der Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus ein Maßnahmenpaket vorlegen. Dafür sind aktuell knapp 50 Vereine, Verbände und Initiativen der Zivilgesellschaft eingeladen, am 20.8.2020 in Berlin ihre Forderungen und Analysen vorzutragen. Wir teilen die Sorge vieler Betroffenen-Initiativen und Migrant*innenorganisationen, dass am Ende einmal mehr Symbolpolitik ohne konkrete Wirkung präsentiert wird.

Das geplante Maßnahmenpaket des Kabinettsausschusses muss tatsächliche Fortschritte bei der Auseinandersetzung mit Rassismus, mit rassistischer, antisemitischer und rechter Gewalt und Terror und mit Polizeigewalt ermöglichen. Dafür erwarten wir als bundesweite Vereinigungen folgende fünf  Beschlüsse vom Kabinettsausschuss:

  • Das Bundeskabinett einigt sich auf eine einheitliche und bundesweit verbindliche Arbeitsdefinition von institutionellem und strukturellem Rassismus. Als Orientierung dient die Definition der Rassismus-Enquete-Kommission des Thüringer Landtags.[1] Diese Definition ist Ausgangspunkt für Fortbildungen, Studien, etc. in den Bereichen Polizei, Justiz, Bildung etc.
  • Das Bundeskabinett beschließt eine Erweiterung des Opferschutzes im Aufenthaltsgesetz und stellt sich damit den politischen Zielen der Rechtsextremen entgegen. Es setzt ein eindeutiges Signal, in dem es ein Gesetzesvorhaben für ein humanitäres Bleiberecht für Betroffene rassistischer Gewalt ohne festen Aufenthaltsstatus hervorbringt – durch eine Erweiterung von 25AufenthG um Absatz 4c. Es kann nicht sein, dass Täter*innen profitieren, weil abgeschobene Opfer nicht mehr als Zeug*innen in Strafverfahren aussagen können.[2]
  • Das Bundeskabinett einigt sich auf eine Studie zu Racial Profiling und Rassismus bei den Polizeibehörden des Bundes und der Länder und ermöglicht damit, das Ausmaß des Problems zu vermessen sowie wirksame Gegenmaßnahmen einzuleiten.[3]
  • Das Bundeskabinett einigt sich auf eine Ausweitung der Entschädigungsleistungen für Betroffene von rassistisch, antisemitisch und rechtsextrem motivierten schweren Sachbeschädigungen und Brandanschlägen durch das Bundesamt für Justiz. Die Angegriffenen stehen nach den Anschlägen auf Restaurants, Lebensmittelgeschäfte, Shisha-Bars oder Imbisse – wie etwa in Chemnitz, Halle, Hanau und Berlin – buchstäblich vor den Trümmern ihrer Existenz. Bisher gibt es keine Entschädigungsansprüche für zerstörtes Inventar, Renovierungskosten, Sicherungsmaßnahmen oder existenzbedrohende Einnahmeverluste in Folge von Anschlägen.[4]
  • Das Bundeskabinett einigt sich auf eine grundlegende Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und führt ein Verbandsklagerecht ein. Wir fordern einen Diskriminierungsschutz, der neben dem privatrechtlichen Bereich (AGG) auch staatliches Handeln einbezieht. Hier fordern wir ein Bundesantidiskriminierungsgesetz (BADG) zum Schutz vor Diskriminierung durch staatliche Stellen. Außerdem braucht es auf Landesebene bundesweit Landesantidiskriminierungsgesetze (LADG).

[1] „Von institutionellem Rassismus kann gesprochen werden, wenn durch individuell und/oder gemeinschaftlich geteilte Wertvorstellungen und Verhaltensweisen regelmäßig in alltäglichen Routinen und Ritualen zum Nachteil der von Rassismus und Diskriminierung Betroffenen gehandelt wird. Gemeint sind mit ‚Institutionen‘ Regelsysteme sozialer Art, mithin verfestigte Rollenerwartungen zwischen Menschen mit festen Handlungserwartungen.“ Auszug aus dem Bericht der Rassismus-Enquete-Kommission des Thüringer Landtags; S. 64.; siehe auch S.59 ff.

[2] vgl. Stellungnahme zur Sachverständigenanhörung des Bundestags-Innenausschusses zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes „Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt“ vom 26.6.2020, https://www.verband-brg.de/stellungnahme-zum-entwurf-eines-gesetzes-zur-aenderung-des-aufenthaltsrechts-fuer-opfer-rechter-gewalt/

[3] vgl. Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Menschenrechte vom 24.7.2020: Stellungnahme zu Racial Profiling – Bund und Länder müssen polizeiliche Praxis überprüfen

[4] vgl. Offener Brief an Justizministerin Christine Lambrecht: Rassismus und Antisemitismus vernichten wirtschaftliche Existenzen vom 12.5.2020

Weitere Informationen:

Download: Die Stellungnahme vom VBRG, EOTO, BMB und ndo. [PDF]

Download: Hier finden Sie unsere Bulletpoints für den Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. [PDF]

Zum VBRG e.V.: Im Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sind fachspezifische Opferberatungsstellen aus 13 Bundesländern zusammengeschlossen, die mit langjähriger Erfahrung und großer Expertise jährlich hunderte Betroffene rechter Gewalttaten beraten und unterstützen.

Zu EOTO e.V.: Each One Teach One (EOTO) e.V. ist ein Community-basiertes Schwarzes Bildungs- und Empowerment-Projekt in Berlin. Ausgehend vom Beginn als Bücherei und Archiv dehnte sich die Arbeit von EOTO auf die Bereiche Jugendarbeit, Interessenvertretung und Vernetzungsplattform Schwarzer Menschen sowie auf die Beratungsstelle für Betroffene von Anti-Schwarzem-Rassismus (ASR) aus.

Zum BMB e.V.: Im Bundesverband Mobile Beratung haben sich rund 50 Mobile Beratungsteams aus allen 16 Bundesländern zusammengeschlossen, die Zivilgesellschaft und Zuständige in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus beraten und gemeinsam für eine demokratische Kultur eintreten.

Zu den ndo: Das postmigrantische Netzwerk „neue deutsche organisationen“ ist ein bundesweiter Zusammenschluss von rund 120 Initiativen von People of Color und Schwarzen Menschen, die sich für Vielfalt und gegen Rassismus engagieren. Die Geschäftsstelle wird gefördert durch die Stiftung Mercator.

Redaktion TolSax

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