Sächsischer Flüchtlingsrat warnt: Migrationspolitik droht inhumane und rechtswidrige „Zeitenwende“
Autor_innen: Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
Am Freitag will die CDU-Fraktion im Bundestag mit dem „Zustrombegrenzungsgesetz“ eine Abkehr vom europäischen und internationalen Recht auf Flüchtlingsschutz einleiten. Anlass für die geplante Abstimmung mit AfD, FDP und BSW sind zu verurteilende Gewalttaten, bei denen vor allem die Herkunft der Täter instrumentalisiert wurde. Kirchenverbände, Rechtsanwälte und der Sächsische Flüchtlingsrat warnen vor den Folgen dieser drastischen Verschärfung.
Die Entwürfe von CDU-Kanzlerkandidat Merz sehen dauerhafte Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Schutzsuchenden direkt an den deutschen Grenzen vor. Weiter drohen massenhafte Inhaftierungen von Menschen mit prekärem Status und mehr Befugnisse der Bundespolizei, um Abschiebehaft und Abschiebungen durchzuführen. Die CDU will Zurückweisungen über die Erklärungen eines Notstandes ermöglichen – wenngleich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof klar ist, dass eine oder auch mehrere Straftaten und auch die derzeitigen Asylantragszahlen nicht annährend zu einem echten Notstand führen.
„Dass Zurückweisungen ohne individuelles Verfahren eklatant rechtswidrig sind, haben schon mehrere Gerichte, auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, festgestellt. Eine schreckliche Tat wie die in Aschaffenburg, die durch nichts zu rechtfertigen ist, wird hier benutzt, um Tausende, Zehntausende Menschen in Mithaftung zu nehmen – und um sich von eine der zentralen Lehren des Zweiten Weltkrieg zu verabschieden, dem Verbot der Zurückweisungen von Schutzsuchenden“, sagt Matthias Lehnert, Rechtsanwalt und Mitglied des Beirates des Sächsischen Flüchtlingsrates.
Auch die beiden großen Kirchen warnen vor dem Vorschlag der CDU und erklären, dass dieser die Gewalttat von Aschaffenburg nicht verhindert hätte, denn diese zeigen vor allem „ein Defizit hinsichtlich des Informationsaustausches unterschiedlicher Behörden und einen eklatanten Mangel an adäquater Versorgung psychisch Kranker.“
Wahlkampf-Rhetorik verdrängt Fakten
Migration scheint das zentrale Wahlkampfthema für die kommende Bundestagswahl zu sein. Dabei ist es vielmehr die diskriminierende Verknüpfung von Kriminalität und Geflüchteten, die die Debatte bestimmt. Die abscheulichen Taten von Magdeburg und Aschaffenburg werden instrumentalisiert, um Geflüchtete als homogene, potenziell gefährliche Masse darzustellen.
„Im Wahlkampf verdrängen gefühlte Wahrheiten die tatsächlichen Fakten. Geflüchtete werden als reine Bedrohung inszeniert, sodass manche Menschen jederzeit einen Messerangriff fürchten. Dabei zeigen Statistiken, dass zum Beispiel die Mordrate in Deutschland seit Jahrzehnten rückläufig ist“, erklärt Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat.
- Zwischen 2000 und 2010 wurden durchschnittlich 441,7 Morde pro Jahr ermittelt.
- Zwischen 2010 und 2023 lag der Durchschnitt bei 334,4 Morden jährlich.[1]
Dies zeigt sich bei Versuchen wie vollendeten Taten: Einschließlich der Versuche gab es beispielsweise im Jahr 1993 insgesamt 1.299 Fälle, was 1,6 Morden pro 100.000 Einwohner entspricht. Im Jahr 2021 waren es 643 Fälle beziehungsweise 0,77 pro 100.000 Einwohner. Diese Zahlen widerlegen die derzeit geschürte Panikmache, die eine Notlage der öffentlichen Sicherheit suggerieren.
Ankunftszahlen gehen zurück
Auch der Eindruck, dass immer mehr Schutzsuchende nach Deutschland oder Sachsen kämen, ist falsch. Im letzten Jahr wurden bundesweit 30 Prozent weniger Asylanträge als im Vorjahr gestellt – darunter zählten übrigens auch Anträge von Neugeborenen sowie Asylfolgeanträge. In Sachsen ist die Zahl der Asylsuchenden 2023 ebenfalls gesunken. Kamen 2023 noch über 23.000 Asylsuchende im Freistaat an, waren es im letzten Jahr noch 10.120 Personen und in den Erstaufnahmen befinden sich aktuell 2.521 Menschen[2].
Gleichzeitig schätzt die Bundesagentur für Arbeit, dass bis 2030 aufgrund sinkender Geburtenraten allein in Sachsen 328.000 Arbeitskräfte fehlen werden. Neben der moralischen und rechtlichen Verantwortung zur Aufnahme von Schutzsuchenden stellt sich also auch die Frage, wie Deutschland ohne dauerhafte Zuwanderung seinen Wohlstand sichern will.
Kürzungen bei Integration schaden dem sozialen Frieden
Obwohl eine gelungene Integration die wichtigste Grundlage für sozialen Frieden darstellt, werden Mittel in diesem Bereich drastisch gekürzt. Besonders betroffen ist die psychosoziale Versorgung – eine essenzielle Maßnahme, um Traumata zu behandeln und potenzielle Gewaltbereitschaft zu erkennen. Hier wird bundesweit fast die Hälfte der Mittel gestrichen.
Während Gelder für mehr Polizei, Grenzkontrollen und Zurückweisungen jederzeit bereitgestellt werden, werden Maßnahmen zur Integration und Prävention massiv eingeschränkt.
„Nicht mehr das Ankommen, sondern das bloße Abwehren von Schutzsuchenden wird zur Prämisse – ein Verrat an unseren humanitären Grundsätzen“, kritisiert der Sächsische Flüchtlingsrat.
Vergifteter Diskurs setzt Geflüchtete unter Generalverdacht
„Vor wenigen Tagen weinte die 12-jährige Fatima aus Afghanistan auf einer Gedenkveranstaltung in Aschaffenburg. Sie entschuldigte sich für den Mord eines 37-Jährigen, der rein gar nichts mit ihrem Leben zu tun hatte. Doch der aktuelle vergiftete Diskurs nötigte sie dazu, da er alle Menschen aus Afghanistan unter Generalverdacht stellt“, kritisiert Schmidtke.
Diese Entwicklung ist gefährlich: Während rechte Gewalt neue Höchststände erreicht, geraten Minderheiten immer stärker ins Visier. Die aktuelle politische Rhetorik befeuert diese Gefahr zusätzlich.
Fazit: Das „Zustrombegrenzungsgesetz“ der CDU wäre ein schwerer Bruch mit internationalen Flüchtlingsrechten. Gleichzeitig verschärft sich der gesellschaftliche Diskurs auf eine Weise, die nicht nur Schutzsuchende, sondern den sozialen Zusammenhalt insgesamt gefährdet. Der Sächsische Flüchtlingsrat fordert daher eine Rückkehr zu einer faktenbasierten und menschenrechtskonformen Migrationspolitik.
[1] Mordopfer in Deutschland seit dem Jahr 2000 bis 2023, Daten erhoben von Statista Research Department. Online abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2229/umfrage/mordopfer-in-deutschland-entwicklung-seit-1987/
[2] Bei einer Gesamtkapazität von 5073 Plätzen entspricht dies einer Auslastung von 50 Prozent, darüber hinaus hält der Freistaat an kurzfristigen Notfallkapazitäten fest, sodass bei steigender Ankunftszahl 9.600 Plätze zur Verfügung stehen. Informationen dazu online abrufbar unter: https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/1083978