2018 | Know your enemy!
Auf dem Fachtag „GegenAngriff. Antidemokratischen Angriffen wirksam begegnen“ des Netzwerks Tolerantes Sachsen am 27. Oktober 2018 in Zwickau tauschten sich knapp 30 Vertreter_innen zivilgesellschaftlicher Vereine und Initiativen aus der Region sowie Chemnitz, dem Vogtland, Leipzig, Mittelsachsen, Dresden und Ostsachsen über ihre Erfahrungen mit rechten Angriffen und den richtigen Umgang damit aus.
Wie nötig so ein Erfahrungsaustausch der Engagierten ist, zeigte eine Demonstration der sogenannten „Bürgeroffensive Deutschland“ im Zentrum der Stadt am selben Nachmittag. Einen Monat zuvor, kurz nach den Ereignissen Ende August in Chemnitz, hatte diese Gruppierung rund 2.000 Menschen auf die Straßen gebracht. So viele waren es diesmal bei weitem nicht – die Freie Presse vermeldete lediglich 150 offensive Bürger_innen. An der Gegenkundgebung der Initiative „Das andere Zwickau“ unter dem Motto „Herz statt Hetze“ beteiligten sich auch einige Teilnehmer_innen unseres Fachtags.
Lauter Kulturkampf von rechts
Das Demonstrationsgeschehen passt zur Einschätzung unseres Referenten David Begrich von Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V., wonach antidemokratische Akteur_innen gerade sehr laut und selbstbewusst auftreten. Damit versuchen sie den Eindruck zu erwecken, für die Mehrheit der Bevölkerung zu sprechen. Etwa mit Parolen wie „Wir sind das Volk“ und „Wir sind mehr“, wie sie bei der Demonstration der „Bürgeroffensive“ gerufen wurden. Der gegenwärtige „Kulturkampf von rechts“ äußert sich aber nicht nur in solchen öffentlichen Auftritten. Gleichzeitig nehmen Angriffe und Anfeindungen gegen zivilgesellschaftliche Initiativen und Personen zu, die sich für Demokratie, Toleranz und Menschenrechte engagieren.
Nach der Begrüßung durch die TolSax-Sprecherin und Mitorganisatorin der Veranstaltung Martina Glass vom Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. aus Wurzen sowie Marcel Biegerl vom gastgebenden soziokulturellen Zentrum Alter Gasometer e.V. und René Hahn, Stadtrat von Die Linke und Mitglied des Bündnisses für Demokratie und Toleranz der Zwickauer Region, begann der Fachtag mit einem Vortrag von David Begrich zum Thema „Zwischen Anfeindung und Solidarität“. Der Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei Miteinander e.V. lieferte drei Impulse zum Umgang mit Angriffen und Drucksituationen.
Know your enemy!
Erster Ratschlag: Kenne deinen Gegner! Man müsse unterscheiden, von wem die Angriffe ausgehen (militante Neonazis, sog. besorgte Bürger oder Vertreter_innen der „Partei der Angst“) und welcher Art sie sind (persönlicher Angriff, politische Diffamierung oder Versuch der Kriminalisierung / Vorwurf des Fördermittelbetrugs o.ä.). Gerade wenn man unter Druck steht, sei es wichtig, sich die Zeit für eine genaue Analyse zu nehmen, um angemessen reagieren zu können und nicht in Panik oder Paranoia zu verfallen. Begrich berichtete von seinem Umgang mit (Droh-)Anrufen und E-Mails und von Schutzmaßnahmen bei Bedrohungen im persönlichen Umfeld.
Minderheitenpositionen vertreten
Der zweite Impuls betraf die Psychologie der Einschüchterung. Bei vielen Angriffen werde eine Drohkulisse mit verschiedenen Eskalationsstufen, vergleichbar dem Stalking, aufgebaut. „Das Ziel der Rechten ist es, andere Positionen zum Verstummen zu bringen“, so Begrich. Die Grundfrage sei: Wer muss sich in der Öffentlichkeit für was rechtfertigen? Wer sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzt, steht gerade häufig unter einem Rechtfertigungsdruck – sowohl beruflich als auch privat. Psychologisch mache es einen Unterschied, ob man für die (vermeintliche) Mehrheit spricht oder nicht. Auch für das Vertreten von Minderheitenpositionen müsse man sich eine Strategie überlegen. Besonders wichtig dafür sei ein stabiles Umfeld: Kolleg_innen, Freundeskreis, Kirchgemeinde usw. So ein Umfeld ermöglicht nicht nur einen (fachlichen) Austausch, sondern auch einen Perspektivwechsel und die Reflexion des eigenen Handelns.
Solidarität erfahren, Erfolgserlebnisse organisieren
Ausgehend von einem Brandanschlag auf das Auto eines Kollegen betonte Begrich in seinem dritten Impuls die Bedeutung von Solidarität. Neben materieller Hilfe und öffentlichen Solidaritätserklärungen seien vor allem direkte Rückmeldungen an die betroffenen Personen wichtig. Dabei sollte es sich immer um Solidaritätsangebote handeln. Also nachfragen, was gerade gebraucht wird. Solidarität sollten auch und gerade Personen erfahren, deren Positionen man selbst nicht zu hundert Prozent teilt und die einem lebensweltlich vielleicht fern stehen.
Weitere Themen des sehr dichten Vortrags und der anschließenden Diskussion waren die Organisation von Erfolgserlebnissen („Das machen die Rechten ständig.“), der Umgang mit Erschöpfungszuständen (Schaffen von Rückzugsräumen, selbstbestimmte Auszeiten) und die aktuelle Kampagne der AfD gegen Miteinander. Nach Begrichs Einschätzung ist der Verein derzeit zwar der „Lieblingsgegner“ der Partei in Sachsen-Anhalt, damit sollten aber auch andere Akteur_innen eingeschüchtert werden, nach dem Motto: „Bestrafe einen, erziehe hundert.“ Als nächstes werde vermutlich die Bildungsarbeit der Gewerkschaften und der Jugendverbände in den Fokus der Partei geraten. Um so wichtiger sei es, transparent zu agieren und Kooperationspartner_innen Handlungssicherheit zu vermitteln, etwa bei der Durchführung von Projekttagen an Schulen.
Erfahrungsaustausch im Open Space
Anschließend an den Einführungsvortrag bildeten sich in einem Open-Space-Verfahren drei Kleingruppen, in denen sich die Teilnehmer_innen des Fachtags zu den Themen Fördermittelabhängigkeit, soziale Medien und persönliche Angriffe / Störungen bei Veranstaltungen austauschten. Nach der Mittagspause ging die Arbeit in drei Workshops weiter, bei denen Wissen und Empfehlungen für konkrete Gegenstrategien vorgestellt wurden.
Kreative Aktionen im öffentlichen Raum
Der Workshop mit David Begrich schloss inhaltlich direkt an seinen Einführungsvortrag an. Thema waren rechte Strategien der Raumnahme. Als Raum sind dabei sowohl Straßen, Stadtteile oder ganze Ortschaften als auch Themen und Diskurse zu verstehen. Zu unterscheiden ist zwischen Identitätsthemen, die den weltanschaulichen Kern betreffen, und Kampagnenthemen, die situativ genutzt und besetzt werden. Wichtige Schritte dafür sind Emotionalisierung, v.a. über Bilder, und Personalisiserung sowie Polarisierung. Ein weiteres Mittel sind bewusste Provokationen, mit denen die Gegenseite auf das eigene diskursive Feld gelockt werden sollen. Darauf sollte man sich nicht einlassen. Anders bei tatsächlichen Tabubrüchen, etwa wenn bestimmen Gruppen das Existenzrecht abgesprochen wird. In solchen Fällen muss man reagieren und widersprechen.
Bei der Diskussion von Gegenstrategien drehte sich viel darum, wie es gelingen kann, wichtige Themen selbst zu besetzen. Aber auch: Welche Themen wollen wir uns nicht aufzwingen lassen? Ein Problem sei oft die Schweigespirale im sozialen Nahraum: Das Vertrauen darauf, dass sich schon jemand anderes um ein Problem kümmern werde. Gerade demokratische Akteur_innen würden sich oft zu sehr auf staatliche Institutionen verlassen, während Antidemokrat_innen solche Deutungslücken ausnutzen. Dabei kommt es weniger auf tatsächliche Vorschläge und Aktivitäten an, sondern auf öffentlich nachvollziehbares, zeichenhaftes Handeln, das eine Identifikation ermöglicht: Wer liefert als erstes die passenden Bilder zu einem Thema?
Rechtliche (Gegen-)Angriffe
Der Leipziger Rechtsanwalt Jürgen Kasek vermittelte in seinem Workshop Grundkenntnisse zu rechtlichen Möglichkeiten und deren Grenzen, insbesondere zu sogenannten Meinungsdelikten. Grundsätzlich schützt Artikel 5 des Grundgesetzes die Meinungsfreiheit. Das gilt auch für diskriminierende Äußerungen, selbst wenn diese nicht in den Bereich der demokratischen Meinungsbildung fallen. Eine Ausnahme sind lediglich Propagandadelikte wie der positive Bezug auf den Nationalsozialismus. Ansonsten wird die Meinungsfreiheit nur durch das Recht der persönlichen Ehre und den Jugendschutz eingeschränkt.
Meinungsdelikte werden in der Regel nur auf Antrag (Anzeige durch die oder den Geschädigten) verfolgt, es sei denn die Staatsanwaltschaft wird aufgrund eines öffentlichen Interesses von selbst tätig. Wichtig ist hier die Unterscheidung zwischen Meinungen (Werturteil) und Tatsachen (nachweisbarer, überprüfbarer Gegenstand). Der Beleidigungsvorwurf (§185 StGB). bezieht sich auf Meinungen. Ob wirklich eine Beleidigung vorliegt, ist oft schwierig nachweisbar, gerade bei mehrdeutigen Aussagen. Im politischen Meinungsaustausch wird der Rahmen des Zulässigen besonders weit gefasst. Üble Nachrede (§186 StGB) bezieht sich auf die Verbreitung von nicht erweislich wahren Tatsachenbehauptungen, die dazu geeignet sind, die davon betroffene Person herabzuwürdigen (Imageschaden). Verleumdung (§187 StGB) ist die Verbreitung von Tatsachen, von denen die oder der Urheber_in weiß, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen.
Bei Propagandadelikten wie der Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§86 und 86a StGB) oder Volksverhetzung (Aufstachelung zum Hass gegen Bevölkerungsteile, §130 StGB) handelt es sich um Offizialdelikte, die eigentlich von Amtswegen verfolgt werden. Aber auch hier müssen die Behörden manchmal erst auf das Vorliegen einer Straftat hingewiesen werden, bevor sie tätig werden. Während Meinungs- und Propagandadelikte oft im Netz geschehen, handelt es sich bei Nötigung, Drohung und Nachstellung (Straftaten gegen die persönliche Freiheit) meist um Bedrohungen im klassischen Sinn.
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, auf Meinungsdelikte zu reagieren: 1) Anzeige (strafrechtlicher Weg): als Onlineanzeige, bei der Polizei oder direkt bei der Staatsanwaltschaft. Oder 2) Unterlassungsaufforderung (zivilrechtlicher Weg): Aufforderung, die Behauptung zu unterlassen und eine Unterlassungserklärung abzugeben sowie die Anwaltskosten zu übernehmen; nächste Eskalationsstufe ist die einstweilige Verfügung, also eine Unterlassungsaufforderung vom Gericht.
Für eine Anzeige spricht neben der möglichen Abschreckungswirkung der Einfluss auf die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik und damit langfristig auf die Wahrnehmung von bestimmten Problemen. Zivilrechtliche Klagen (Unterlassung) ziehen demgegenüber relevante Anwaltskosten nach sich (falls man kein Recht bekommt). Generell handelt es sich immer um eine Abwägung, ob man die Zeit und Ressourcen für eine rechtliche Auseinandersetzung aufbringen will. Ein Kriterium dafür ist die Frage, ob durch die Äußerung die persönliche Integrität bzw. der Ruf des Vereins geschädigt werden. Zu beachten ist dabei der sogenannte Streisand-Effekt: Der Versuch, etwas per Unterlassungsaufforderung zu verbieten, kann öffentliche Aufmerksamkeit dafür noch verstärken (gegenteiliger Effekt als erhofft).
Öffentlichkeitsarbeit und Krisenkommunikation
Der dritte Workshop mit Steven Hummel von Engagierte Wissenschaft e.V. aus Leipzig widmete sich der eigenen Öffentlichkeitsarbeit von Vereinen und Initiativen. Hier berichteten die Teilnehmenden zunächst, was sie in ihrer täglichen Arbeit immer wieder erleben: Wie Menschen das Wort ergreifen, um die Diskussionen in ihre Richtung zu lenken. Wie sie dabei mit rassistischen Vorurteilen spielen, Ängste schüren, Verschwörungen streuen. Und wie sie auch gezielt demokratische Projekte stören und diskreditieren. Ob bei Veranstaltungen und Workshops – oder in den sozialen Netzwerken.
Die Runde diskutierte, ab wann man auf diesen verbalen „Gegenwind“ reagieren muss – und wie man das tun kann. Vom einzelnen Hass-Kommentar bis zur Diffamierungskampagne – da die Bandbreite digitaler Angriffe sehr weit ist, sollte man je nach Art, Intensität und Umfang zwischen den Reaktionsmöglichkeiten abwägen: 1) Ignorieren, um ein „Hochschaukeln“ zu vermeiden 2) Gegenrede leisten bzw. Solinetzwerke aktivieren 3) Hater bei Plattformbeitreibern melden bzw. bei Beleidigungen, Bedrohungen oder Volksverhetzung anzeigen.
Anschließend diskutierten die Teilnehmenden anhand eines Worst-Case-Szenario, wie sie mit einem digitalen Angriff umgehen würden. Eine zentrale Erkenntnis des Workshops: Es gibt nicht den Königsweg der Krisenkommunikation. Daher ist es sinnvoll, sich verschiedene Strategien für den Notfall zu überlegen. Hilfreich sind in der Situation auch Unterstützer_innennetzwerke, die sich mit angefeindeten Projekten solidarisch erklären.
Wie so ein Solidarnetz sächsischer Demokratie-Projekte für die Sozialen Netzwerken aussehen könnte, skizzierte abschließend Annegret Ode von der TolSax-Koordination.
Kooperation
Eine Veranstaltung des Netzwerks Tolerantes Sachsen in Kooperation mit Alter Gasometer e.V. Soziokulturelles Zentrum Zwickau
Gefördert von
Das Projekt wird gefördert von der Sebastian Cobler Stiftung für Bürgerrechte sowie vom sächsischen Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“.