2018 | „Die Grenzen der Toleranz sind längst überschritten“
Was kann, was muss die demokratische und offene Gesellschaft erdulden? Und wo verlaufen die Grenzen der Toleranz?
Um diese wichtigen Fragen zu diskutieren, kamen am 1. September 2018 rund 30 Vertreter_innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft sowie Verwaltung beim Fachtag TolSax-Konkret des Netzwerks Tolerantes Sachsen an der Hochschule Mittweida zusammen: „Die Grenzen der Toleranz. Warum wir nicht mit Antidemokrat_innen reden müssen.“
Eine Woche nach den rechten Ausschreitungen und Hetzjagden in Chemnitz. Eine Woche voll intensiver Diskussionen über die Deutung der Ereignisse und den angemessenen Umgang mit Rechtsextremen. Und Auseinandersetzungen darum, was man in einer Demokratie sagen und tun kann – und was nicht.
Parallel zur Tagung vereinnahmte die AfD zusammen mit der sich selbst als Bürgerbewegung bezeichnenden rechten Wählervereinigung „Pro Chemnitz“ den mutmaßlichen Totschlag an Daniel H. mit einem sogenannten „Trauermarsch“. Dagegen protestierte bei „Herz statt Hetz“ ein breites Bündnis aus Chemnitzer Vereinen, Parteien und der Stadtgesellschaft.
Ereignisse in Chemnitz wenig überraschend
„Was in Chemnitz passiert ist, war insbesondere für diejenigen überraschend, die in den letzten Jahren nicht hingesehen haben. Die das Problem Rechtsextremismus verdrängt haben. Aber wer die Decke über den Kopf zieht und hofft, dass die Geister dann schon verschwinden, wird ein böses Erwachen erleben.“
Mit diesen Worten eröffnete Prof. Dr. Christoph Meyer im Namen der Hochschule Mittweida den Fachtag „Die Grenzen der Toleranz“. Als Dozent der Sozialen Arbeit könne er nur dazu beitragen und hoffen, dass seine Fakultät den Studierenden alle nötigen Kompetenzen mit an die Hand gebe, um gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Arbeitsalltag begegnen zu können. Der Fachtag sei eine gute Gelegenheit für den Austausch zwischen engagierter Wissenschaft und Zivilgesellschaft, freute sich Professor Meyer.
Grenzen der Toleranz längst überschritten
„Wir alle müssen uns fragen, was wir antidemokratischen Aktivitäten entgegenhalten können“, skizzierte Solvejg Höppner, Sprecherin des Netzwerks Tolerantes Sachsen, die Motivation des Fachtages. Nicht nur in Bezug auf Chemnitz, denn „die Grenzen der Toleranz sind längst überschritten.“
Rechte Begriffe und Diskursstrategien
Dass Grenzüberschreitung schon bei der Sprache beginnt, legte Prof. Dr. Christoph Kopke von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin in seinem Einführungsvortrag dar.
Er erläuterte, mit welchen Begriffen und Strategien rechte Akteure den gesellschaftlichen Diskurs in ihrem Sinne formen wollen: Die Rede von einer angeblichen „Meinungsdiktatur“, von „Political Correctness“ oder „Lügenpresse“ sei Teil des Kulturkampfes von Rechts und einer Immunisierungsstrategie gegen jede Art von Widerspruch. Mit Verweis auf die Bedrohung durch einen angeblich bevorstehenden „Volkstod“ (oder „Umvolkung“) werde eine Aufstandssituation („Widerstand“) herbeigeredet. Historische Vorbilder dafür gab es mit Begriffen wie „Judenpresse“ oder „Volksmord“ bereits in der Nazi-Propaganda der 1930er Jahre. Ob Boulevardjournalismus, Politikerin oder „besorgter Bürger“ – wer diese Begriff nutze, müsse sich ihrer Herkunft bewusst sein. Oder im Zweifel darüber aufgeklärt werden.
Neben der schleichenden Etablierung rechtsextremen Vokabulars sei auch die Umdeutung von Begriffen eine rechte Diskursstrategie: „Freiheit“ und „Demokratie“ seien auch in rechten Diskursen oft bemühte Werte – allein beziehen sie sich dort auf einen exkludierenden Gesellschaftsbegriff, der beispielsweise Menschen mit Migrationshintergrund oder politisch Andersdenkende von diesen Grundrechten ausschließt. Die Regierung soll einfach das umsetzen, was „das Volk“ wolle. Dieses identitäre, nicht pluralistische Demokratieverständnis sei insbesondere in Ostdeutschland weit verbreitetet.
Mit Rechten reden?
„Wir sollten weniger mit Rechten reden.
Wir sollten über sie reden“, betonte Kopke. Über ihre Strategien. Über
ihre Ziele. Und ihre Inhalte als das benennen, was sie sind:
rechtsextrem und eine Gefahr für Demokratie.
Kopke plädierte
daher dafür, rechten Akteuren zumindest als zivilgesellschaftliche
Initiative keine öffentliche Bühne zu schaffen, sie also nicht zu
eigenen Veranstaltungen einzuladen. Wo sich eine Auseinandersetzung
nicht verhindern ließe, beispielsweise im Parlament oder in der
Sozialen Arbeit, sollte man versuchen, die rechten Argumentationsmuster
zu durchbrechen: Bei Falschbehauptungen konkrete Belege einfordern.
Bei Themenhopping auf ein Thema festnageln. Bei verbalen
Grenzübertritten widersprechen. Die eigene Haltung möglichst klar
vertreten.
In einer angeregten Diskussion tauschten sich die
Teilnehmenden anschließend über ihr eigenen Erfahrungen im diskursiven
Umgang mit Rechten aus. In Sachsen sei es mittlerweile schwierig, den
Diskurs mit Antidemokrat_innen komplett zu verweigern. Auch die Medien
hätten sich für rechte Positionen bereits ziemlich weit geöffnet.
Christoph Kopke wies angesichts dieser Einwände daraufhin, dass aus
einem „Mit Rechten reden“ schnell ein „wie die Rechten reden“ werden
könne.
Nach der Mittagspause boten zwei Workshops die
Möglichkeit, das Wissen um rechte Strategien zu vertiefen und
Gegenstrategien zu entwickeln.
Demokratie zwischen „unmittelbarer Volksherrschaft“ und „Mitmachtheater“
Im Workshop von Dr. Robert Feustel von der Friedrich-Schiller-Universität Jena beschäftigten sich die Teilnehmer_innen ausführlicher mit dem bereits von Professor Kopke angesprochenenen „identitären Demokratieverständnis“ der Rechten. Deren Ideal sei eine „unmittelbare Exekution des Volkswillens“, so Feustel. Das Volk würde dabei meist biologistisch verstanden, die Rechte von Minderheiten keine Rolle mehr spielen. „Für die Nazis war die NS-Diktatur mit dem Führer an der Spitze die wahre Volksherrschaft.“ Auch für die heutigen (Neuen) Rechten seien antiparlamentarische Vorstellungen zentral. Dies schlägt sich u.a. in der Forderung nach dem Austausch von Funktionseliten („Merkel muss weg!“) nieder. Anstelle der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie solle etwa ein präsidiales System mit einem direkt gewählten Präsidenten treten, der dann „den Führer gibt“.
Dagegen zu argumentieren, ist nicht immer einfach. Eine Teilnehmer berichtete, ihm gehe langsam die Kraft dafür aus zu widersprechen, weil die Rechten immer mehr würden. Ein Ziel müsse es sein, die Demokratie im Alltag erlebbar zu machen, etwa in den Schulen. Ob eine verstärkte Beteiligung der Bürger_innen an allen Entscheidung wünschenswert sei, war allerdings umstritten. Dabei handele es sich häufig nur um ein „Mitmachtheater“, kritisierte Feustel. Dies könne überfordern und falsche Erwartungen wecken. Entsprechend wurden auch die Vor- und Nachteile von (mehr) direkter Demokratie intensiv diskutiert.
Menschenwürde muss geschützt werden
Im Workshop „Nicht ohne meine Würde“ mit Hannah Eitel von Weiterdenken diskutierte die Runde: Was bedeuten Menschenwürde und Gleichheit? Wir konkretisiert sich die Wahrung der Menschenwürde z.B. im Recht auf körperliche Unversehrtheit und gesellschaftlicher Teilhabe? Und was bedeutet es für die Gesellschaft, Menschenwürde zu schützen?
Der Paragraph der Volksverhetzung ist mitunter zu eng, um alle Angriffe auf die Menschenwürde wirksam juristisch zu bekämpfen, wie sich imWorkshop zeigte. Eitel betonte, dass alle Ideologien der Ungleichwertigkeit einen Angriff auf die Menschenwürde bedeuten. In einer Gruppenarbeit diskutierten die Teilnehmenden anhand konkreter Textbeispiele, wie die AfD das Rechte auf Würde und Gleichheit verletzt. Und mit welchen Argumentationen wir das kritisieren können.
Kooperation
Eine Veranstaltung des Netzwerks Tolerantes Sachsen in Kooperation mit Hochschule Mittweida – Fakultät Soziale Arbeit und Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen.
Gefördert von
Das Projekt wird gefördert von der Sebastian Cobler Stiftung für Bürgerrechte sowie vom sächsischen Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“.