Pressemitteilung: Schutz für geflüchtete Menschen aus Palästina – Schluss mit dem Entscheidungsstopp!
Autor_innen: Flüchtlingsräte Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Sachsen
06. März 2024
Die Flüchtlingsräte Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Sachsen fordern Schutz für geflüchtete Menschen aus Palästina. Die unterzeichnenden Landesflüchtlingsräte kritisieren die Praxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), palästinensischen Geflüchteten einen sicheren Schutz in Deutschland vorzuenthalten.
„Obwohl die durch Kriegsgewalt und Versorgungsnot gekennzeichnete Lage palästinensischer Schutzsuchender offensichtlich ist, verweigert das Asyl-Bundesamt (BAMF) eine Schutzgewährung für die Opfer von Krieg und Vertreibung“ beklagt Caroline Mohrs, Referentin beim Flüchtlingsrat Niedersachsen. Es handele sich im Gazastreifen nicht um eine kurzfristige Krise, die sich nach einigen Wochen beruhigen wird. Es wurden bereits über 30.000 Menschen getötet, über 70.000 verletzt und nahezu die gesamte Infrastruktur sowie Wohngebäude zerstört. „Wir fordern das BAMF auf, den Entscheidungsstopp aufzuheben und Palästinenser:innen aus dem Gazastreifen zumindest subsidiären Schutz zuzuerkennen.“ erklärt Caroline Mohrs.
Das Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (siehe Urteil vom 20.11.2023) und andere Gerichte sprechen Palästinenser:innen aus dem Gazastreifen seit November 2023 einen subsidiären Schutzstatus zu. Doch ausgerechnet, wenn die Überlebensnot am größten ist, setzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylverfahren aus und entscheidet nicht. Angesichts des Krieges und der zahlreichen zivilen Opfer im Gazastreifen unbegreiflich.
Das BAMF will es offenbar nicht besser wissen. Aktuell beruft sich das Amt darauf, dass aufgrund des Krieges die Lage im Gaza-Streifen zu unübersichtlich sei, um die Gefährdung der Schutzsuchenden im Fall einer Rückkehr valide zu bewerten. „Diese Behauptung erscheint angesichts der zugänglichen Berichterstattung internationaler Hilfsorganisationen[1] und der ausführlichen Tagesberichte[2] allein der Vereinten Nationen geradezu absurd“, kritisiert Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.
Zahlreiche Personen, deren Verfahren beim BAMF auf Eis gelegt sind und die in Ungewissheit über ihren weiteren Aufenthalt leben, wenden sich an die Flüchtlingsräte in den Bundesländern. Sie haben keine Chance auf Familiennachzug und auch keine Möglichkeit, in Nachbarländer zu reisen, falls Familienmitglieder dorthin entkommen konnten. Das Land Schleswig-Holstein[3] lehnt auf Anfrage unter Verweis auf die Verweigerung des Bundes selbst die Aufnahme kriegsverletzter und medizinisch behandlungsbedürftiger Zivilisten aus dem Gaza-Streifen ab.
Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen, die vom Entscheidungsstopp des BAMF betroffen sind und bereits mehr als drei Monate auf eine Entscheidung warten, raten die Flüchtlingsräte zur Erhebung einer Untätigkeitsklage, um ihren Schutzanspruch durchzusetzen.
Am 12.02.2024 hat auch der Nationale Asylgerichtshof in Frankreich seine Entscheidung in der Rechtssache Nr. 22054816 veröffentlicht und einen subsidiären Schutzstatus festgestellt, da im Gazastreifen eine Situation willkürlicher Gewalt von außergewöhnlicher Intensität herrsche, in der Zivilist*innen allein durch ihre Anwesenheit auf dem Gebiet des Gazastreifens in Lebensgefahr schweben. In Griechenland wird geflüchteten Menschen aus Palästina in der überwiegenden Zahl der Fälle ein Flüchtlingsstatus zuerkannt (98,6 % Anerkennungsquote).
Angesicht der ebenfalls zunehmenden Übergriffe auf Palästinenser:innen in der Westbank[4] sowie deren anhaltender Vertreibung fordern die Landesflüchtlingsräte das BAMF auf, auch für diese Gruppe einen subsidiären Schutzstatus anzuerkennen.
In Deutschland werden Palästinenser:innen aus dem Gazastreifen und der Westbank als staatenlos angesehen, da Palästina als Staat nicht anerkannt wird. Eine Schutzgewährung wurde bisher in den meisten Fällen verweigert. Trotzdem konnte in der Abschiebungsandrohung die Zielstaatsbestimmung „Palästinensische Autonomiegebiete“ verwendet werden (Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil vom 14.12.2017, Aktenzeichen 8 LC 99/17). Nur in Einzelfällen gelang es palästinensischen Geflüchteten, gegen das BAMF vor den Verwaltungsgericht einen Schutzanspruch durchzusetzen (siehe etwa Verwaltungsgericht Oldenburg, Urteil v. 07.06.2023, Az.: 3 A 3611/21). Da ihre Abschiebung faktisch in aller Regel nicht möglich ist, sind abgelehnte palästinensische Geflüchtete oft jahrelang in nur jeweils kurz befristeten Kettenduldungen und somit von vielen Einschränkungen und Diskriminierung u.a. bei Sprachförderung, Beschäftigung oder Ausbildung und Wohnsitzwahl betroffen. Auch ihnen muss mit Blick auf die seit Monaten herrschende Misere in ihrer Heimat ein Schutzstatus und eine sichere Bleibeperspektive gewährt werden.
Zudem fordern die unterzeichnenden Flüchtlingsräte, dass allen Palästinenser:innen, die sich mit einem Besuchs- oder Ausbildungsvisum[5] in Deutschland aufhalten, nach dessen Ablauf ein visumsfreier Aufenthalt ermöglicht wird, da ihnen eine Rückkehr auf unabsehbare Zeit unmöglich ist. Die Landesflüchtlingsräte begrüßen, dass eine solche Übergangsverordnung bereits für israelische Staatsangehörige besteht, hier dürfen aber keine doppelten Standards gelten.
Wir wiederholen mit Nachdruck die Forderung nach einem Aufnahmeprogramm für Familienangehörige und Gewaltopfer und danach, dass Deutschland sich für die Ermöglichung der Ausreise aus dem Gazastreifen einsetzt.
[1] https://www.oxfam.de/presse/pressemitteilungen/2024-02-21-humanitaere-katastrophe-gaza-hilfsorganisationen-fordern
[3] https://www.frsh.de/artikel/verantwortung-uebernehmen-gewaltopfer-aus-gaza-aufnehmen
[4] https://www.ochaopt.org/content/about-4000-palestinians-displaced-west-bank-2023
[5] https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Aus-Gaza-nach-Kiel-Der-Krieg-hat-alles-geaendert,gaza516.html