Paradiesvögel statt Reichsadler
Autor_innen: Franziska Schindler für Amadeu Antonio Stiftung
Ein sonniger Junitag an der B96 zwischen Zittau und Bautzen. Wie an jedem Sonntag in diesem Sommer zwischen 10 und 11 Uhr kommen hier Menschen zusammen, vorgeblich um gegen die Coronamaßnahmen der Bundesregierung zu demonstrieren. Wie an jedem Sonntag säumen Reichsflaggen und Deutschlandfahnen den Straßenrand, steht Nazi-Tattoo neben AfD-Abgeordnetem, Reichsbürger neben Aluhut. Vor Ort sind auch die neonazistische Kleinstpartei Dritter Weg, die Identitäre Bewegung und QAnon-Anhänger*innen.
Aber an diesem Sonntag sind sie nicht allein. Dreißig Fahrzeuge haben sich zu einem Protestzug zusammengeschlossen. Unter dem Motto „Paradiesvögel statt Reichsadler“ will die „Karawane der Vernunft“ an diesem 14. Juni ein Zeichen für ein demokratisches, solidarisches Miteinander und gegen die rechtsextrem dominierte Kundgebung setzen. Der örtliche Gewerkschaftsbund (DGB) hat den Autokorso angemeldet, initiiert wurde er vom Löbauer Verein „Augen auf“.
Fast alle Teilnehmenden kommen aus der Region. Sie wissen, wer an jenen Sonntagen auf der Straße steht, und sie haben Vorsichtsmaßnahmen ergriffen: Nummernschilder wurden abgeklebt, enge Absprachen mit der Polizei getroffen. Die Aggression, die der friedlichen Demo entgegenschlägt, hätten die Engagierten trotz allem nicht erwartet. „Es wurden Hitlergrüße gezeigt, auf die Fahrbahn gesprungen, Eier geschmissen, in die Autos gespuckt, nach Menschen geschlagen“ berichtet Dorothea Schneider, Vorstand von „Augen Auf“. „Und wer sein Nummernschild nicht abgeklebt hatte, bekam im Nachgang einen Besuch abgestattet, mit Hakenkreuzschmierereien an Autos und Häusern.“
Die Hausbesuche waren das eine. Die massiven Anfeindungen gegen die Beteiligten das andere, kräftezehrende Resultat der Karawane. Die Intendantin des Zittauer Theaters, das mit einem Wagen bei der Karawane dabei war, wurde zum Rücktritt aufgefordert. Der DGB erlebte in den Sozialen Medien einen Shitstorm, der seinesgleichen sucht. Zahlreiche Mitglieder traten aus dem Gewerkschaftsdachverband aus. Mittels einer Kleinen Anfrage machte die AfD die Karawane der Vernunft im sächsischen Landtag zum Thema. Nur vereinzelt stellten sich Kommunalpolitiker*innen hinter die Engagierten. „Es war irre, was wir da erlebt haben“, resümiert Schneider.
Rechtsextreme Übergriffe gehören zur Regel
Wer sich in einem solchen Klima engagiert, braucht Mut, Frustrationstoleranz und einen langen Atem. Augen Auf hat alles davon. Die couragierten Löbauer*innen gründeten den Verein im Jahr 2001. „Wir wollten etwas tun, als die Lausitz zur national befreiten Zone wurde“, erinnert sich Sven Kaseler, der von Anfang an dabei war. Der Verein begann mit Konzerten gegen Rechts, über deren Zulauf die Engagierten selbst überrascht waren. Es folgten Ausstellungen, Theaterstücke, das antirassistische Turnier „Fußball grenzenlos“, Bildungsarbeit in Schulen, Jugendarbeit im Dreiländereck mit Tschechien und Polen, Unterstützungsprogramme für Geflüchtete. Die Liste ist enorm und noch längst nicht zu Ende. Was die Projekte verbindet: Der Kampf für ein demokratisches, solidarisches Miteinander und gegen Rassismus und Ausgrenzung. Was Augen auf für die Lausitz bedeutet: Dass da immer wer ist, der hinschaut, Zivilcourage einfordert, handelt.
Es ist ein zäher Kampf gegen Windmühlen. Unweit von Görlitz gelegen gehört Löbau zu jenem Wahlkreis, in dem der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer 2017 sein Bundestagsdirektmanadat gegen den damals noch unbekannten AfD-Mann Tino Chrupalla verlor. „Die AfD und Chrupalla bezeichnen uns mittlerweile als ihren Fanclub, weil wir ihnen ganz schön auf die Nerven gehen“, erzählt Kaseler amüsiert. Gegenrede, die stets in der Minderheit bleibt. „Wir gehen davon aus, dass konservative bis rechtsextreme Parteien etwa 80 Prozent der Wählerstimmen in der Region auf sich vereinen, progressive Parteien kommen auf circa 20 Prozent“, analysiert Elisabeth Fast. Als Bildungsreferentin der Amadeu Antonio Stiftung gegen Verschwörungsideologien ist sie in ganz Sachsen unterwegs.
„Die Akzeptanz von rechten Strukturen war schon immer da, aber sie wird immer größer“, berichtet Schneider, und Kaseler ergänzt: „Man spürt, dass die Kinder derer, die in den 90er Jahren in Kameradschaften waren, mittlerweile erwachsen sind“. Übergriffe durch Rechtsextreme gehören hier zur Regel. Mehrfach wurde bereits in das Büro von Augen Auf eingebrochen. Die politischen Kräfteverhältnisse machen sämtliche Umgangsstrategien mit neurechter Raumnahme obsolet: „Hier ist es viel schwieriger, die AfD zu ignorieren, weil sie in sämtlichen Gremien vertreten ist“, resümiert Fast.
So weit, so kompliziert. In anderen Fällen liegt allerdings auf der Hand, was die Rolle von Politiker*innen der demokratischen Parteien sein sollte, finden Schneider, Kaseler und Fast: Klar gegen Menschenfeindlichkeit Stellung zu beziehen. „Wie unter einem Brennglas hat sich an der Karawane gezeigt, was hier in der Region los ist“, erklärt Kaseler, „Niemand hat von offizieller Seite über die Proteste reden wollen, die Leute haben die Augen verschlossen – denn wenn man die Proteste an der B96 kritisiert, gibt man offen zu: Wir haben da ein Problem“. Nach außen die saubere Weste zu behalten sei jedoch Priorität. Wer den Mund aufmache, werde als Nestbeschmutzer diffamiert.
„Gerade so am Fiasko vorbeigeschrammt“
In einem solchen Klima ist es wenig verwunderlich, dass Reichsbürger*innen und andere rechtsextreme Siedlungsprojekte sich in der Region niedergelassen haben. Kaseler berichtet von einem Oldtimer-Treffen, das von Wehrmachtsfahrzeugen und Uniformierten bevölkert wird sowie Sachbeschädigungen, die klar dem Milieu zuzurechnen sind. Wobei eine angemessene Reaktion der Polizei ausbleibt: Auf Anzeigen werde von den Beamt*innen häufig gar nicht reagiert, oder die Ermittlungen sofort eingestellt.
Eigentlich sei ein solches Vorgehen nicht mehr Usus, erklärt Reichsbürger-Experte Benjamin Winkler. In den letzten Jahren sei das Problembewusstsein in den Behörden stark gestiegen. „Das Problem ist allerdings die Vernetzung der Milieus auch in Ostsachsen: Mittlerweile ist schwer zu sagen, wer Reichsbürger, zur AfD gehörend oder Verschwörungsideologe ist“, so der Soziologe, der selbst jahrelang Behörden im Umgang mit Reichsbürger*innen fortbildete. „Die Milieus sind sehr miteinander verwoben“. Außerdem gebe es Kontakte in die Sicherheitsbehörden. Es könne deswegen durchaus sein, dass in Polizei, Ordnungsamt oder Schulbehörde Beamt*innen säßen, die das Thema nicht allzu ernst nähmen.
„Bei der letzten Landtagswahl sind wir gerade so am Fiasko vorbeigeschrammt“, mahnt Kaseler, „genauso gut hätte die AfD gewinnen können“. Seine Prognose für die kommende Legislaturperiode ist düster: „Alle, die damals sagten, es kann nicht mehr schlimmer kommen, sind jetzt anderer Meinung“. Die verbleibende Zeit bis zur nächsten Wahl will Augen Auf nutzen, um „etwas für den Ernstfall aufzubauen“. Konkret heißt das: Die demokratische Zivilgesellschaft zu vernetzen, damit sie beim nächsten Angriff von Rechtsextremen entschieden, laut und geschlossen auftreten kann. Mittels einer Koordinierungsstelle, die Pressemitteilungen vorlegt und gemeinsame Projekte anschiebt, sollen regionale politische Netzwerke endlich schlagkräftiger werden.
Unterstützt wird Augen Auf dabei von der Amadeu Antonio Stiftung im Rahmen des Förderprogramms „Engagierte stärken! Ostdeutschland für demokratische Kultur”. „Gerade, um kritische Strukturen aufzubauen ist es wichtig, finanziell unabhängig von Mitteln zu sein, über deren Vergabe die AfD mitentscheidet“, sagt Kaseler. „Die Förderung kam wirklich genau zum richtigen Zeitpunkt.“ Mithilfe der Stiftung konnte Augen Auf zudem weitere Initiativen und Projekte in der Region unterstützen – beispielsweise beim Monitoring rechtsextremer Strukturen oder in der Organisation von Protesten gegen völkische Siedlungsprojekte.
Die Engagierten hoffen, dass die Corona-Pandemie nicht wieder ihre Pläne durchkreuzt. Aber jetzt ist ohnehin erstmal Feiern angesagt: Dank der Unterstützung der Open Society Foundations kann das Förderprogramm der Amadeu Antonio Stiftung auch im nächsten Jahr fortgeführt werden.