Offener Brief aus der ostdeutschen Zivilgesellschaft: AfD auf Verfassungswidrigkeit prüfen

Autor_innen: Belltower News

Angesichts der bevorstehenden Beratungen im Deutschen Bundestag in dieser Woche fordert ein breites Bündnis aus der ostdeutschen Zivilgesellschaft die demokratischen Abgeordneten des Bundestages auf, die Prüfung eines AfD-Verbotsverfahrens entschlossen voranzutreiben. Das Prüfverfahren sei ein klares Signal gegen die rechtsextreme Bedrohung, dazu fordern die Engagierten umfassendere Maßnahmen gegen Rassismus, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit zu ergreifen.

Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, unterstreicht die Dringlichkeit: „Die Debatte über ein Verbot der AfD zeigt, wie unklar und unentschlossen viele Demokrat*innen agieren. Für zivilgesellschaftlich Engagierte und Minderheiten wirkt diese Diskussion wie ein Feigenblatt, um sich nicht mit den für sie unmittelbar gefährlichen Erzählungen der AfD auseinanderzusetzen. Doch genau diese Erzählungen prägen längst die politische Realität. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese rechtsextreme Partei weiter demokratische Institutionen aushöhlt und ein Klima der Angst schafft. Ein Prüfverfahren ist ein wichtiges Signal, doch ohne eine umfassende Strategie gegen rechtsextreme Hetze und Gewalt bleibt es Stückwerk.“

Einschüchterungen und Angriffe gegen demokratisch Engagierte

Die Unterzeichnenden berichten von gezielten Einschüchterungen und Angriffen durch die AfD, die nicht nur Minderheiten und Geflüchtete, sondern auch demokratisch Engagierte treffen, insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern. Robert Kusche ehrenamtlicher VBRG-Vorstand betont: „Die AfD trägt aktiv zur Eskalation politischer Gewalt bei. Ihre Funktionär*innen beteiligen sich durch Rhetorik und Handlungen an der existenziellen Bedrohung ‚politischer Feinde‘ wie demokratisch Engagierten und Kommunalpolitiker*innen. Sie sendet Botschaften, die Gewalt gegen vulnerable Gruppen legitimieren. Für die Betroffenen bedeutet das eine ständige Bedrohung ihrer Sicherheit. Diese Entwicklung erfordert eine entschlossene Haltung aller Demokrat*innen, um die Werte einer offenen und sicheren Gesellschaft zu verteidigen.”

Kalkulierter Raubzug zum Abbau der Demokratie

Die zunehmende Vernetzung von AfD Mitgliedern mit Reichsbürger*innen und Rechtsextremen zum gewaltbereiten Angriff gegen Engagierte und Repräsentantinnen auf die Infrastruktur der Demokratie sind besorgniserregend und fordern zum Handeln auf, so Renate Sternatz, Vorsitzende von Mobit e.V. Thüringen. „Wir erleben vielerorts wiederholte Angriffe gegen die Menschenwürde auf Einzelpersonen und Gruppen, z. B. auf Menschen mit Migrationserfahrung, Journalist*innen, Gewerkschafter*innen und viele weitere demokratisch Engagierte. Die systematische Verunsicherung erfolgt in den Kommunen, in Vereinen, im Alltag, in den sozialen Netzwerken und auf der Straße. Die AfD zielt programmatisch auf die Abschaffung der freiheitlich demokratischen Grundordnung und sie missbraucht ihre parlamentarischen Mandate zur gezielten Einschüchterung der Zivilgesellschaft. In Thüringen hat die AfD zuletzt durch die Eröffnung des Landtagsparlaments ihre gefährliche Präsenz und symbolische Macht unter Beweis gestellt. Der kalkulierte Raubzug zum Abbau unserer demokratischen Prinzipien darf nicht länger toleriert werden.“

Verbotsverfahren darf nicht verschleppt werden

Die Engagierten fordern die Bundesregierung und die demokratischen Abgeordneten des Bundestages auf, ein klares Signal gegen die rechtsextreme Bedrohung zu setzen und die Prüfung eines Verbotsverfahrens aktiv auf die Tagesordnung zu bringen und nicht bis nach der Bundestagswahl zu verschleppen. Gleichzeitig sei es unerlässlich, umfassendere Strategien zu entwickeln, um die Demokratie gegen Angriffe von rechts zu schützen.

„Nie wieder ist jetzt“ – mit diesen Worten schließen die Verfasser*innen des Briefes und fordern von den Abgeordneten des Bundestages eine entschlossene Haltung und klare Maßnahmen gegen die AfD und die von ihr ausgehenden Gefahren.

Belltower.News dokumentiert den Brief im Wortlaut.

Offener Brief:

Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestags,

wir wenden uns an Sie als Vertreter*innen zahlreicher zivilgesellschaftlicher Initiativen, Organisationen und Gruppen aus Ostdeutschland, die sich tagtäglich für eine demokratische, weltoffene und pluralistische Gesellschaft einsetzen. Mit großer Sorge beobachten wir, wie die AfD ihre Position in kommunalen Gremien und Parlamenten missbraucht, um nicht nur jene zu attackieren, die vor Ort für das Gemeinwohl und den gesellschaftlichen Zusammenhalt eintreten, sondern auch die Grundwerte unseres Grundgesetzes. Sie fördert ein Klima der Angst und Spaltung und nutzt unsere Demokratie, um systematisch demokratische Prinzipien zu untergraben.

Wir erleben hautnah, wie die AfD gezielt gegen Minderheiten, Andersdenkende und demokratische Institutionen vorgeht. Ihre Hetze vergiftet nicht nur das gesellschaftliche Klima, sondern fällt auf fruchtbaren Boden und erzeugt reale Gewalt. Besonders betroffen sind hiervon viele Regionen in den ostdeutschen Bundesländern, in denen die AfD besonders stark ist und zugleich anderen rechtsextremen und neonazistischen Kräften Auftrieb verschafft. Der Hass und die Gewalt treffen die Schwächsten, Minderheiten, Geflüchtete, Frauen, aber auch Engagierte der demokratischen Zivilgesellschaft und in der Kommunalpolitik.

Neben der Verbreitung von offenem Antisemitismus, völkischem Rassismus und wahnhaften Verschwörungserzählungen richtet die AfD gezielte Angriffe auf die Erinnerungskultur an die Opfer des Nationalsozialismus. Führende Mitglieder der Partei sprechen von einem „Schuldkult“ und relativieren damit bewusst die größten Menschheitsverbrechen unserer Geschichte.

Wir, die Unterzeichnenden, wollen diese Entwicklungen nicht hinnehmen. Wir stellen uns daher täglich Antisemitismus, Rassismus und Geschichtsrevisionismus entgegen. In Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt wird die AfD bereits jetzt als gesichert rechtsextrem eingestuft. Sie hat sich von einer rechtspopulistischen Oppositionspartei zu einer system- und demokratiefeindlichen Kraft entwickelt, die gezielt das Vertrauen in Parlamente, Gerichte, Medien und zivilgesellschaftliche Strukturen untergräbt und diese offen angreift.

Tagtäglich erfahren wir, was es bedeutet, durch Rechtsextreme, Rassisten und Antisemiten beleidigt und bedroht zu werden. Daher fordern wir Sie auf, Ihren Beitrag im Kampf gegen Rechtsextremismus zu leisten: Leiten Sie ein Prüfverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ein, um unabhängig festzustellen, ob die AfD auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Lassen Sie uns gemeinsam entschlossen dafür eintreten, die demokratischen Werte unseres Landes zu schützen. Mehr denn je gilt: „Nie wieder ist jetzt.“ Unsere Verfassung gibt uns dieses Mittel zum Schutz der Demokratie an die Hand; wir sollten es nutzen.

Seit langem dokumentieren wir unsere Erfahrungen und Einschätzungen, um ein umfassendes Bild der Situation zu vermitteln. Wir laden Sie ein, mit uns zu diskutieren und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Drücken Sie sich nicht aus parteitaktischen Gründen vor Ihrer Verantwortung gegenüber der Demokratie und den Menschen – insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern.

Ja, ein mögliches Verbot der AfD wird das Problem mit Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus nicht lösen. Doch ein Prüf- und Verbotsverfahren wäre ein wichtiges Signal und ein Baustein, um auf die Bedeutung der AfD und die von ihr ausgehenden Gefahren zu reagieren. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir sind offen für weitere Ideen und Vorschläge.

Mit freundlichen Grüßen

Unterzeichner*innen in alphabetischer Reihenfolge

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Redaktion TolSax

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