Neues Rechtsgutachten zum sogenannten Neutralitätsgebot
Autor_innen: Kulturbüro Sachsen e.V.
Zur Bedeutung des sog. Neutralitätsgebots für zivilgesellschaftliche Vereine der Demokratie- und Jugendarbeit
Welche Verpflichtungen erwachsen Organisationen der Demokratie- und Jugendarbeit als Empfängern von Fördermitteln? Sind sie dazu verpflichtet, ein sogenanntes Neutralitätsgebot einzuhalten? Welche Kompetenzen hat der Sächsische Rechnungshof zur Beantwortung dieser Frage?
Diese Fragen waren Gegenstand im 2. Untersuchungsausschuss („Mutmaßlich rechtswidrige Förderpraxis bei Asyl- und Integrationsmaßnahmen…“) des Sächsischen Landtags sowie im Sonderbericht des Landesrechnungshofes.
Im Auftrag der Cellex Stiftung unterstützt von der Freudenberg Stiftung, der Schöpflin Stiftung und der Amadeu Antonio Stiftung hat Prof. Dr. Hufen ein Rechtsgutachten erstellt, das diesen Sachverhalt juristisch prüft.
Prof. Dr. Friedhelm Hufen hat am 14.08. im Rahmen einer Pressekonferenz sein Rechtsgutachten vom 25.07.2024 der Öffentlichkeit vorgestellt.
Gutachter
Prof. Dr. Friedhelm Hufen, o. Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Mainz. Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz a.D.
Zu den Hauptarbeitsgebieten von Prof. Dr. Hufen zählen das Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht und Kulturrecht. Seit 1993 ist er Professor für Öffentliches Recht- Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Main. Er übernahm Gastprofessuren in New Orleans, Cape-Town und Paris.
Kernaussagen des Rechtsgutachtens
[Auszug; Hervorhebungen durch KBS ]
Zusammenfassend kommt Prof. Dr. Hufen zu folgenden Ergebnissen:
- Mit seinen Ausführungen zum Neutralitätsgebot und zur Chancengleichheit politischer Parteien hat der Sächsische Landesrechnungshof (SRH) im Sonderbericht die Kompetenzen des Rechnungshofs überschritten. Über die Verfassungsmäßigkeit der Förderpraxis eines Ministeriums hat allein die Gerichtsbarkeit zu entscheiden.
- Inhaltlich erweist dich die Argumentation des SRH als einseitig und wenig tragfähig und bietet auch keine Anhaltspunkte für einen Handlungsrahmen für künftiges Verhalten der Beteiligten. Sie konzentriert sich einseitig auf die Einhaltung des isoliert betrachteten Neutralitätsgebots und lässt die Anforderungen der ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Staatsaufgabe Demokratieförderung, der streitbaren Demokratie und der Grundrechtsstellung der geförderten zivilgesellschaftlichen Kräfte außer Betracht.
- Die politische Nähe eines schon im Titel auf Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt ausgerichteten Ministeriums zu auf dieselben Ziele gerichteten gesellschaftlichen Vereinigungen ist kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot, sondern geradezu sachimmanent.
- Politische Bildung und Demokratiearbeit sind stets auf ethische Werte und Verfassungsziele gerichtet und deshalb nie „neutral“. Auch sind sie Ausdruck der streitbaren Demokratie und verpflichtende Staatsaufgabe, die auch und gerade durch private Organisationen wahrgenommen werden kann.
- Die Offenheit des demokratischen Willensbildungsprozesses ist ein herausragendes Verfassungsprinzip. Sie darf nicht durch Neutralitätsgebot und Chancengleichheit der Parteien verkürzt werden. Beide Verfassungsgüter dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
- Die öffentliche Finanzierung privater Initiativen bedeutet nicht, dass deren Äußerungen zu solchen des Staates werden. Die privaten Träger sind weder Instrument noch „Sprachrohr“ des Ministeriums und auch nicht in gleichem Maße an ein – wie auch immer definiertes – Neutralitätsgebot und die Chancengleichheit der Parteien gebunden.
- Die Bildungsarbeit freier Träger darf Gefahren für die Menschenwürde, für die freiheitliche demokratische Grundordnung, für die Grundrechte und für Staatsziele wie den Schutz natürlicher Lebensgrundlagen und europäische Einigung auch und gerade dann abwehren, wenn diese Gefahren von Programmen politischer Parteien ausgehen.
- Weder das Neutralitätsgebot noch die Chancengleichheit politischer Parteien verbieten die sachliche Auseinandersetzung mit diesen – auch wenn die entsprechende Partei oder führende Funktionäre konkret benannt werden.