Innenansichten – Obdachlosigkeit
Autor_innen: Kathrin Krahl für Weiterdenken
Das Thema Obdachlosigkeit ist durch Corona in vieler Munde. Die Sensibilität für die Situation der Obdachlosen scheint vorhanden. Im Moment werden sehr viele Anfragen an uns herangetragen. Daher wollen wir im Interview mit der Kollegin Renata Horvathova über die Situation von Obdachlosen sprechen.
Wie kommst Du dazu, dass Du über den Alltag Obdachloser informiert bist?
Ich bin Mitarbeiterin beim Verein der Roma in Sachsen – Romano Sumnal – und im Projekt ALLTAGSGESPRÄCHE bei Weiterdenken. Seit 2018 habe ich zusammen mit der Treberhilfe einen Anlaufpunkt für Obdachlose organisiert. Da kamen unsere Roma aus verschiedenen Ländern, der Slowakei, Tschechien, Polen, Serbien, Bulgarien, Rumänien und Ungarn. Selbstverständlich bin ich auch in Kontakt mit Obdachlosen aus Deutschland. Ich spreche Romanes, Deutsch und Slowakisch, Tschechisch und Serbisch, das hilft.
Wie tretet ihr zu Corona-Zeiten miteinander in Kontakt?
Wir telefonieren und ich mache kurze Verabredungen in der Stadt. Sie erzählen mir über ihre Probleme, beispielsweise über den Wegfall der Schlafmöglichkeiten und Duschmöglichkeiten in den Nachtcafes. Sie würden im Moment – wegen Corona – gerne bei ihren Familien in ihren Ländern sein. Doch sie haben nicht das Geld, wegen der fehlenden Betteleinnahmen, und wissen nicht, wie sie sonst das Ticket bezahlen sollen. Außerdem kann die Ausreise auch unmöglich sein, zum Beispiel nach Polen ist es schwierig. Wenn ich die Möglichkeit habe, begleite ich auch bei Einkäufen. Leider befindet sich M., ein Obdachloser in Dresden, im Moment im Krankenhaus. Sein Herz funktioniert nicht mehr richtig und er braucht vielleicht eine Operation. Seine Anghörigen durften noch nicht einmal wenige private Sachen abgeben. Weil ich Deutsch spreche, hat es dann geklappt. Wir achten sehr aufeinander. Wir haben Mundschutz, Gummihandschuhe und nutzen hygienische Feuchttücher. Niemand von uns darf krank werden. Obdachlosigkeit ist gefährlich. Wenn Obdachlose krank werden, ist das für sie noch viel gefährlicher als für Menschen mit Wohnung.
Was sind die aktuellen sozialen Probleme?
Die Menschen haben trotz Corona keine Unterkunft. Die Nachtcafés haben alle genommen und es kostete nur einen Euro pro Übernachtung. Jetzt können die Obdachlosen nur in Übergangswohnheimen der Stadt schlafen, das kostet aber pro Person 220 Euro im Monat.
In Dresden stehen für wohnungslose Menschen genügend warme und sichere Schlafgelegenheiten zur Verfügung. So stellt das Sozialamt Übernachtungsmöglichkeiten in sieben Übergangswohnheimen sowie in Gewährleistungswohnungen bereit. Hinzu kommen Notschlafplätze, die jedes Jahr im Winter zusätzlich eingerichtet werden. Damit werden auch die mit der Schließung der Dresdner Nachtcafés entfallenden Schlafstellen kompensiert. Das schreibt die Stadt Dresden, wieso sehe ich dann Obdachlose auf der Straße?
Das fragen sich auch alle anderen Menschen. Warum bekommen wir keine wirkliche Hilfe von der Stadt.
Erzähl bitte, warum die Hilfen nicht ankommen – Schritt für Schritt?
Das Problem ist, dass Obdachlose aus der EU keine Unterstützung bekommen. Das Jobcenter bezahlt die 220 Euro nicht, weil sie keine Arbeit haben und nicht aufstocken können. Das Sozialamt zahlt nicht, weil sie keine Möglichkeit haben, in Deutschland Unterstützung vom Sozialamt zu bekommen. 220 Euro müssen selbst bezahlt werden – das kann keiner! Außerdem können sich viele Frauen nicht vorstellen, in Übergangswohnheimen zu wohnen. Du kannst Dir nicht aussuchen, mit wem Du wohnst. Da ist auch das große Problem Alkohol. Viele haben Angst und eine Rumänin hat beim Anblick der Einrichtungen geweint. Man findet dort keine Ruhe, keine Sicherheit und Schutz!
Viele der Obdachlosen in der Stadt sind in Gruppen unterwegs, warum?
Sie haben Angst vor Gewalt. Obdachlose sind ja sehr oft Opfer rechter Gewalt. Aber auch andere greifen Obdachlose an: Sie bespucken sie und treten. Viele beschimpfen sie: Geh wieder in dein Land zurück, du Ausländer oder du Zigeuner! Deshalb bleiben die Menschen zusammen. Sie passen aufeinander auf. Viele nennen sich auch Bruder, Schwester. Das ist ein Familienersatz.
Im Moment ist es ja schwierig und verboten, sich zu mehreren zu treffen? Wie geht die Polizei mit Gruppen von Obdachlosen um?
Schrecklich. Immer werden die Gruppen auseinander gerissen. Sofort wird mit Strafe gedroht. Doch manchmal scheint es auch egal zu sein, es gibt keine festen Regeln. Manchmal heißt es 1,5 Meter Abstand, manchmal 2 Meter Abstand. Aber die Polizisten haben keinen Abstand zu den Obdachlosen eingehalten. Das macht Angst! Wir haben auch unseren Mundschutz getragen und Handschuhe. Wir haben die Polizei aufgefordert, das auch zu tragen und Abstand zu halten. Ich habe von Obdachlosen gehört, die in Gewahrsam genommen wurden. Das ist unsereren Gruppen noch nicht passiert. Es gab noch keine Strafen, im Moment wird gedroht.
Wie verbringen sie aber dann die Nächte?
Viele suchen sich Ruinen oder finden in ungenutzten Gebäuden Unterschlupf. Leider gab es diese Woche auch Anzeigen wegen Hausfriedensbruch. Da kam die Polizei und vertrieb die Menschen und sie mussten das Grundstück verlassen. Sehr viele Sachen sind jetzt noch dort. Aber wir dürfen nicht mehr hin.
Was hilft im Moment? Wie findest Du die Gabenzäune?
Super! Die Menschen können sich bedienen und nehmen, was sie brauchen. Sie denken immer auch an die anderen. Sie schauen und wenn etwas da ist, gut – sonst gehen sie weiter. Das hilft.
Geld kann noch viel besser helfen. Dann können die Menschen selbst kaufen, was sie wollen und brauchen. Besonders für Frauen ist das wichtig. Überhaupt muss die Intimität bei Obdachlosen besonders geschützt sein. Also, gebt den obdachlosen Menschen Geld, kauft Essen und Trinken.
Was gibt es noch zu wissen zur Situation?
Die Obdachlosen leiden ganz besonders in der Krise. Keine Schläfplätze, keine Duschen. Macht doch wie in Hamburg die Hotels auf!
Das Interview führte Kathrin Krahl für RomaRespekt.
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