Hoyerswerda ’91: „Uns ist es verboten, die Vergangenheit zu vergessen“ – Redebeitrag von David Macou
Autor_innen: RAA Sachsen
Am 17. September 2022 jähren sich die rassistisch motivierten Angriffe gegen Wohnheime von Vertragsarbeiter*innen und Asylsuchenden, die im Herbst 1991 im ostsächsischen Hoyerswerda stattfanden, zum 31ten Mal. Um an die Betroffenen der Gewalt zu erinnern, veröffentlichen wir einen Redebeitrag von David Macou, der zum damaligen Zeitpunkt als Vertragsarbeiter in Hoyerswerda gelebt hat.
Vom 17. bis zum 23. September 1991 griffen Neonazis gemeinsam mit Anwohner*innen zwei Wohnheime von Vertragsarbeiter*innen und Asylsuchenden in Hoyerswerda an. Bis zu 500 Menschen beteiligten sich an den pogromartigen Ausschreitungen, in deren Verlauf nahezu alle Betroffenen aus der Stadt gebracht wurden, weil ihr weiterer Schutz nicht gewährleistet werden konnte.
Die Ausschreitungen in Hoyerswerda ereigneten sich im Kontext einer bundesweiten rassistischen Gewaltwelle im Zuge der deutschen Wiedervereinigung. Auf sie folgten zahlreiche ähnlich gelagerte Angriffe, wie etwa im August 1992 auf Asylunterkünfte in Rostock-Lichtenhagen und Cottbus-Sachsendorf.
Am 04. September 2022 veranstaltete die „Initiative Cottbus ’92“ eine Gedenkkundgebung in Erinnerung an die rassistischen Ausschreitungen in Cottbus-Sachsendorf. Aus diesem Anlass verfasste auch David Macou, der über ein Jahrzehnt als Vertragsarbeiter in Hoyerswerda lebte und im Zuge der Angriffe vom Herbst 1991 die Stadt verlassen musste, einen Redebeitrag. Er kämpft bis heute gemeinsam mit anderen ehemaligen Kolleg*innen für die Interessen der ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter*innen aus Mosambik.
Redebeitrag von David Macou
Sehr geehrte Damen und Herren, Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen, politischer Parteien, Journalist*innen und alle Menschen: Herzliche Grüße im Namen der Vertragsarbeiter*innen und Arbeiter*innen aus Mosambik, die über ein Jahrzehnt in der DDR in mehreren Unternehmen gelebt, studiert und gearbeitet haben. Uns ist es verboten, die Vergangenheit zu vergessen, unsere Geschichte.
Wir hatten eine Mission zu erfüllen: Ausbildung und Studium. Heute wie nie zuvor stellen wir fest, dass uns die beiden Regierungen betrogen haben: Sie haben uns als billige Arbeitskräfte benutzt, um die Schulden des mosambikanischen Staates zu bezahlen. Meine Damen und Herren, die Erinnerung lebt: Wir als Ausländer fühlten Rassismus. Die heftige Welle von Neonazi-Angriffen, die durch das wiedervereinigte Deutschland nach dem Fall der Berliner Mauer ging. Dieser rassistische Hass hat seit den 1980er Jahren stillschweigend seine negativen Auswirkungen gezeigt. Und die damalige Politik hat die Existenz dieses tödlichen Hasses, der seitdem mehr als 200 Menschen das Leben gekostet hat, nicht akzeptiert. Unter ihnen Mosambikaner, die ihr Leben verloren haben, nur weil sie Ausländer sind, geduldig auf eine Justiz gewartet haben, die bei der Verfolgung von Verbrechen rassistischer Handlungen immer versagt hat. Die Hautfarbe darf nicht das Todesurteil sein.
Ich persönlich weiß nicht, ob die Gewaltausbrüche entschuldigt werden können. Sie haben sich gegen Menschen gerichtet, die als Sündenbock präsentiert wurden. Die schrecklichen Taten in Deutschland gegen die Ausländer. Jedes Opfer ist eines zu viel. Ich bin ein Mensch. Gegen Hetze und Rassismus sollte tatsächlich jeden Tag gekämpft werden. Ich gedenke den Opfern, den heimischen Opfern, die zu oft vergessen werden. Ich frage mich: Was ist eigentlich mit den schrecklichen Taten seit 1990? Was ist aus den Tätern geworden? Ich bin immer noch zutiefst entsetzt, wenn ich darüber nachdenke. Damals und heute. Wir müssen aus der Vergangenheit viel lernen: Dass es in Zukunft mit Sicherheit anders laufen kann. Bis heute bin ich entsetzt darüber, was uns in Hoyerswerda am 1.Mai 1990 und am 17. September 1991 passiert ist. Wie schlimm es war. Uns Betroffenen bleibt die Erinnerung, wir können die furchtbare Tat niemals vergessen!
An Uns Alle: Es muss ganz offensiv Haltung gegen Rassismus und Ausländerhass gezeigt werden. Hass und Hetze sind keine Meinung. Es gibt keine Rechtfertigung für Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Jeder Mensch ist unabhängig von seiner Herkunft gleichwertig. Und niemand ist über andere Menschen erhaben, nur weil er in Deutschland ist. Die Taten von damals, begangen durch Rechtsextremisten in Hoyerswerda, Cottbus, Rostock-Lichtenhagen usw. sind schrecklich und durch nichts zu rechtfertigen. Ich gehörte damals zu den Opfern. Die Täter waren damals nicht nur Neonazis. Ich finde gut, dass viele zivilgesellschaftliche Organisationen, Journalist*innen, Schriftsteller*innen, Parteien usw. sehr aktiv im Kampf gegen Rassismus, Rechtsextremismus, Ausländerhass engagiert sind.
Ich bin (…) im Zeitraum zwischen 1979 und 1991 in der DDR und in Cottbus gewesen, als ich dort eine Ausbildung absolviert habe. Leider hat das von uns erworbene Wissen auf dem mosambikanischen Arbeitsmarkt keinen Stellenwert. Unsere Ausbildungen werden nicht anerkannt, wie traurig! Es hat sich herausgestellt: Wir mosambikanischen Vertragsarbeiter*innen und Arbeiter*innen wurden in der ehemalig DDR zum Teil als „Zahlungsmittel benutzt“. Deswegen werden uns unsere Leistungen bis heute noch in Deutschland versagt: Sozialversicherung, Rentenversicherung, Lohntransfers von 60% usw..
Gegen das Vergessen – „Initiative Cottbus 92“: Vielen Dank! Initiative Zivilcourage Hoyerswerda: Vielen Dank! Rassismus geht uns Alle An! „Man darf nie aufhören, sich die Welt vorzustellen, wie Sie am Vernünftigsten wäre.“ Obwohl es nicht einfach an einem Tag wie heute ist: „Geht nicht, gibt es nicht!“
Herzliche Grüße aus Mozambik! Vielen Dank.
David Mavinguane Macou.
Spendenkampagne „Crianças de Hoy“ für ehemalige Vertragsarbeiter*innen aus Mosambik: https://zivilcourage-hoy.de/spendenaktion-criancas-de-hoy-hilfe-fuer-ehemalige-vertragsarbeiter-aus-mosambik/
Hintergrundinformationen zu den Angriffen vom Herbst 1991 unter: https://www.hoyerswerda-1991.de
Bericht zum Critical Walk anlässlich des 30ten Jahrestages der rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda im Jahr 2021: https://www.raa-sachsen.de/support/meldungen/bericht-zum-critical-walk-am-gedenkwochenende-in-hoyerswerda-5627