Gemeinnützigkeit und politisches Engagement

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Photo: “Politisches Engagement gefährdet Vereine!”, Julia Zé/GFF

Autor_innen: Daniela Turß, Gesellschaft für Freiheitsrechte

Organisationen, die politische Bildung anbieten und die Demokratie fördern, fürchten um ihren Fortbestand. Denn seit dem Attac-Urteil erkennen ihnen immer mehr Finanzämter ihre Gemeinnützigkeit ab. Die GFF unterstützt betroffene Vereine, darunter das DemoZ in Ludwigsburg und die Petitionsplattform change.org. Wir setzen uns für eine starke Zivilgesellschaft ein. Und als Teil der „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts.

Gutachten “Politische Betätigung gemeinnütziger Körperschaften”

Mit einem wegweisenden Rechtsgutachten klärt Prof. Dr. Sebastian Unger (Ruhr-Universität Bochum) im Auftrag der GFF strittige Fragen der Gemeinnützigkeitsrecht-Reformen: Die politische Betätigung zivilgesellschaftlicher Organisationen ist nach geltendem Recht in weiterem Umfang mit der Gemeinnützigkeit vereinbar als vom Bundesfinanzhof in seiner Attac-Entscheidung angenommen.

Die wichtigsten Ergebnisse:

  1. Zwischen parteipolitischer Betätigung und zivilgesellschaftlicher politischer Betätigung bestehen Unterschiede, die eine unterschiedliche steuerliche Behandlung rechtfertigen.
  2. Der Gesetzgeber hat bei der steuerlichen Förderung politischen Engagements im Bereich der Zivilgesellschaft größere Spielräume als im Bereich der politischen Parteien.

Rechtsgutachten “Politische Betätigung gemeinnütziger Körperschaften” als PDF abrufen (74 S., 1 MB, veröffentlicht am 2. Mai 2020)

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Der Fall DemoZ

Das Demokratische Zentrum Ludwigsburg (DemoZ) ist ein sozio-kulturelles Zentrum. Es bietet ein umfassendes Kultur- und Bildungsprogramm an und schafft Raum für politische Diskussionen. Dabei positioniert es sich gegen Rassismus, Antisemitismus, Behindertenfeindlichkeit, Homophobie und andere Formen der Menschenfeindlichkeit. Das Finanzamt Ludwigsburg zweifelt auf Grund dieser politischen Positionierung an der „geistigen Offenheit“ in der Bildungsarbeit des Vereins. Als Folge erkannte das Finanzamt dem DemoZ die Gemeinnützigkeit ab – eine Entscheidung, die für den Verein das Aus bedeuten könnte und gegen die wir gemeinsam vorgehen.
Weitere Informationen zum Fall DemoZ

Der Fall change.org

Der Verein Change.org e.V. betreibt Deutschlands größte Online-Petitionsplattform und fördert dadurch die demokratische Mitwirkung und Beteiligung von Millionen von Bürger*innen. Change.org ermöglicht es Menschen, Petitionen zu starten und zu unterzeichnen – sich also einzumischen in die kleinen und großen Fragen unserer Gesellschaft. Das Finanzamt Berlin sieht in der Tätigkeit des Vereins dennoch keine gemeinnützige Förderung des demokratischen Staatswesens. Dafür müsse sich der Verein objektiv mit den demokratischen Staatsprinzipien befassen, zum Beispiel durch politische Bildung. Wir unterstützen change.org in der rechtlichen Auseinandersetzung.

Was bedeutet „Gemeinnützigkeit“ für einen Verein?

GFF-Clip "Politisches Engagement gefährdet Vereine! Kurz erklärt: Attac-Urteil und Gemeinnützigkeit" bei youtube.com
GFF-Clip “Politisches Engagement gefährdet Vereine! Kurz erklärt: Attac-Urteil und Gemeinnützigkeit” bei youtube.com

Für viele Vereine und Organisationen ist es überlebensnotwendig, vom zuständigen Finanzamt als „gemeinnützig“ anerkannt zu werden. Der Status bringt zahlreiche Steuervorteile mit sich, darunter die Befreiung der Körperschaftssteuer und die Möglichkeit, Spendenquittungen auszustellen. Zudem haben oft nur gemeinnützige Organisationen Zugang zu Fördermitteln. Und wer erwiesenermaßen „gemeinnützig“ ist, dem vertrauen Spender*innen und der genießt ein höheres Ansehen in der Öffentlichkeit. Für viele Vereine und Verbände bedroht der Verlust der Gemeinnützigkeit daher die Existenz.

Warum verlieren derzeit so viele Organisationen ihre Gemeinnützigkeit?

Neben überregional bekannten Organisationen wie Attac und Campact haben lokale Finanzämter inzwischen auch kleineren, regional aktiven Vereine wie dem Demokratische Zentrum Ludwigsburg ihre Gemeinnützigkeit entzogen. Hintergrund ist das Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom Januar 2019. Aus Sicht des BFH sei das globalisierungskritische Netzwerk Attac nach dem Steuerrecht nicht gemeinnützig, da es versuche, mit seinen Kampagnen die politische Meinung zu beeinflussen. Auf diese Entscheidung beriefen sich bis zu einem temporären Erlass des Bundesfinanzministeriums im März 2020 zahlreiche Finanzämter, wenn sie Vereine und Organisationen überprüften.

Das Attac-Urteil: Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft für Vereine

Grundlage für die BFH-Entscheidung ist der Katalog von gemeinnützigen Zwecken in der Abgabenordnung. Mit dem Attac-Urteil hat der BFH eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft geschaffen: Vereine, die sich für die Förderung von Sport, Kunst oder Kultur einsetzen, dürfen zur Förderung ihrer Zwecke politisch aktiv werden, also z.B. öffentlich für mehr Kulturförderung werben. Vereine hingegen, die sich für „Förderung des demokratischen Staatswesens“ und „politischen Bildung“ einsetzen, dürfen dabei nicht in der Absicht handeln, „die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung zu beeinflussen“.

Diese Vorgabe führt in der politisch engagierten Zivilgesellschaft zu großer Rechtsunsicherheit. Für viele Organisationen ist es kaum vorhersehbar, ob ihre Arbeit zukünftig noch als gemeinnützig eingestuft wird.

„Shrinking Spaces“ in Deutschland

Wenn in Ländern wie der Türkei, Ungarn oder Russland die Handlungsspielräume für die kritische Zivilgesellschaft schwinden, wird international von „Shrinking Spaces“ gesprochen. In Deutschland beschränkt nun das Attac Urteil die Möglichkeiten von Vereinen, an der politischen Meinungsbildung mitzuwirken. Es ist ein schwerer Schlag für die Demokratie, wenn Organisationen auf Grund ihrer politischen Haltung die Gemeinnützigkeit entzogen wird oder sie sich nicht mehr politisch äußern, weil sie diese Konsequenz fürchten.

Das Grundgesetz erlaubt es Vereinen, an der politischen Meinungsbildung mitzuwirken

Dabei haben zivilgesellschaftliche Organisationen nach Art. 21 des Grundgesetzes ein Recht darauf, neben den politischen Parteien an der politischen Meinungsbildung mitzuwirken. Für eine lebendige Demokratie ist es essentiell, dass sich vielfältige Akteure kritisch mit bestehenden Verhältnissen auseinandersetzen und Haltung zeigen.

Deshalb sind wir überzeugt: Das geltende Gemeinnützigkeitsrecht muss dringend reformiert werden, um politisch aktiven Organisationen Rechtssicherheit zu geben. Demokratie braucht eine starke Zivilgesellschaft.

Weitere Informationen

Unsere Arbeit in diesem Themenfeld wird unterstützt von den Open Society Foundations.

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Redaktion TolSax

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