Feindbild Journalist III : ECPMF zählt 26 Angriffe im Jahr 2018
Autor_innen: European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF)
Die Kampagne der politischen Rechten gegen die sogenannte „Lügenpresse“ hat reale Folgen. Je häufiger und je mehr Rechte demonstrieren, desto häufiger werden Journalist physisch attackiert. Die Zahlen für 2018 sind alarmierend.
Reporter leben auch in Deutschland gefährlich. Die Zahl der gewalttätigen Angriffe auf Journalisten hat zuletzt wieder deutlich zugenommen – im Jahr 2018 registrierte das Europäische Zentrum für Presse und Medienfreiheit (ECPMF) 26 Fälle. Die große Mehrheit der Attacken ereignete sich auf Versammlungen der politischen Rechten sowie in deren Umfeld. Damit sind die Zahlen so hoch wie 2015 nicht mehr, wie das ECPMF in seinem Jahresreport zum „Feindbild Journalist“ berichtet – aber viel höher als 2016 und 2017. Vor allem die Chemnitzer Proteste im Herbst, bei denen allein an einem Tag neun Journalisten attackiert wurden, haben zur Verschlechterung beigetragen. Der Mitteldeutsche Rundfunk berichtet an diesem Samstag in Radio und Fernsehen über die Ergebnisse des Reports.
Das ECPMF in Leipzig registriert und verifiziert tätliche Übergriffe auf Journalisten seit vier Jahren. In diesem Zeitraum wurden insgesamt 96 Angriffe gezählt – 47 davon allein in Sachsen. Damit nimmt der Freistaat eine unrühmliche Führungsrolle ein. Die Autorin des aktuellen ECPMF-Reports, Pauline Betche, sagt über das Ergebnis ihrer Recherchen:
„Dass die Fallzahlen 2016 und 2017 zurückgegangen sind, war nur scheinbar ein Grund zur Beruhigung. 2018 mussten wir sehen, dass die ‚Lügenpresse‘-Hetze nach wie vor eine große Gefahr für Journalisten darstellt.“
Pauline Betche (ECPMF)
Die Auswertung des ECPMF zeigt, dass mit Ausnahme von vier Angriffen
alle Taten einen politisch rechten Hintergrund aufweisen. In 20 von 22
Fällen fanden sie auf oder im Umfeld von Versammlungen der rechten Szene
statt. Die statistische Betrachtung über vier Jahre hinweg zeigt, dass
die Höhe der Fallzahlen mit der jeweiligen Mobilisierung der politischen
Rechten korreliert. Kurz gesagt: je mehr rechte Demos und
Demonstranten, desto höher die Zahl der tätlichen Angriffe.
In der qualitativen Betrachtung der Vorfälle schälen sich zwei Formen der Gewalt heraus: Neben zielgerichteten Attacken organisierter Rechtsextremer sind immer häufiger spontane Angriffe von „normalen“ Demonstrationsteilnehmern zu verzeichnen. Das Resultat bleibt gleich: verletzte oder mindestens bedrohte Journalisten, die ins Visier gerieten, weil sie ihre Arbeit machten.
Die Sicherheitsbehörden haben inzwischen reagiert. Im September 2018 versprach der Vorsitzende der Innenministerkonferenz der Länder, die in den 90er Jahren vereinbarten Verhaltensgrundsätze für Medien und Polizei bundesweit wieder stärker in das Bewusstsein der Beamten rücken zu wollen. Gleichwohl beklagen viele Medienschaffende, mit denen das ECPMF sprechen konnte, sie fühlten sich auf Demos nicht hinreichend abgesichert.
„Medienschaffende sind bei Demonstrationen von Populisten und Extremisten besonders auf den Schutz der Polizei angewiesen. Es kann nicht sein, dass Medienhäuser private Security für ihre Berichterstatter engagieren muss und freie Journalisten gar nicht mehr hingehen, weil sie direkte Angriffe fürchten müssen“,
sagt Lutz Kinkel, Geschäftsführer des ECPMF.
„Wir brauchen daher mehr und besser geschulte Polizei bei solchen Demonstrationen wie in Chemnitz. Und wir brauchen ein klares Bewusstsein dafür, dass die Hatz auf die vermeintliche ‚Lügenpresse‘ reale Folgen hat: Gewalt.“
Sollte die Situation so bleiben, ist nach Ansicht des ECPMF eine differenzierte und diverse Berichterstattung kaum möglich. Damit gerät auch die verfassungsmäßig verankerte Pressefreiheit in Gefahr.
Bereits in den Jahren zuvor prüfte das ECPMF unter der Leitung des Medienwissenschaftlers Martin Hoffmann systematisch tätliche Angriffe auf Journalisten. Trauriger Spitzenreiter ist bislang das Jahr 2015, in dem 43 Fälle verifiziert wurden.