„Es ist der Versuch der Verbindung von Kämpfen“
Interview von Mara Knauthe mit Rebecca Rahe aus dem Bündnis #unteilbar
Mara Knauthe: #unteilbar ist in den letzten Jahren ein wichtiger, öffentlichkeitswirksamer Teil der deutschen Zivilgesellschaft geworden. Deswegen würde ich gern ein paar Fragen an dich stellen zu eurer Arbeit, die sich in diesen Zeiten des autoritären Sogs stellen. Zuerst einmal: Welche politischen Handlungsfelder sieht #unteilbar für sich?
Rebecca Rahe: Zuallererst darin, Demonstrationen zu organisieren, uns öffentlich zu äußern und für eine offene und solidarische Gesellschaft einzustehen. Ich würde aber sagen, dass das politische Handeln nicht erst beim Auf-die-Straße-Gehen und Demonstrieren anfängt, sondern bereits in der Organisation der Demonstration, im Aushandeln des Aufrufs und bei Fragen wie: Was ist der politische Anlass, worin besteht die Dringlichkeit zu handeln? Worauf einigen wir uns? Das ist schon elementarer Teil des politischen Prozesses. Ansonsten merken wir immer wieder, dass gemeinsame Handlungsfelder zu identifizieren schwierig ist, da wir ein breites Bündnis sind. Im allerersten Aufruf haben wir einen großen Rundumschlag gemacht. Wir haben die wahrzunehmende gesellschaftliche Verschiebung nach rechts als eine diskursive Verschiebung identifiziert, die aber auch auf anderen Ebenen stattfindet. Beispielsweise in Hinsicht auf die Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten, in dem Ausspielen von Flucht und Migration gegen Sozialstaatsleistungen, also Verteilungskämpfe, aber insbesondere in der Spaltung von verschiedenen Personengruppen. Und insofern ist immer die Frage: Wozu gilt es zu handeln? Gleichzeitig ist für mich auch immer die Frage wichtig: Wozu gibt es eigentlich andere politische Akteur:innen? Unteilbar kann natürlich für Klimagerechtigkeit sein. Das ist superwichtig. Aber dafür gibt es genuin Bewegungen wie Fridays for Future oder Ende Gelände. Für uns ist das übergreifende Anliegen eine solidarische Gesellschaft, also stehen die konkreten Themen nicht automatisch fest.
Worin würdest du sagen besteht denn der Mehrwert des Zusammenschlusses? Die verschiedenen Akteur:innen bestanden ja schon vorher und haben unabhängig davon gearbeitet. Was haben Initiativen davon, sich #unteilbar anzuschließen?
Es ist der Versuch der Verbindung von Kämpfen. Ich glaube, wir haben schon vorher, in den letzten Jahren gesehen, dass eine größere Bereitschaft und ein großer Bedarf besteht, intersektional zu denken und zu handeln. Das geht viel von feministischen Bewegungen aus, aber auch von anderen. Es wurde der Blick geweitet für verschiedene Betroffenheiten und auch für die Notwendigkeit, Verschiedenheit zu benennen und sich trotzdem zusammen zu artikulieren. Und ich glaube, dies ist gerade auch ein Bewegungszyklus verbindender Kämpfe und darin ist #unteilbar eben eine große Akteurin, eine von mehreren Akteur:innen.
Für einzelne Initiativen und Organisationen bei #unteilbar ist es das Übergreifende, dieses „Wir stehen zusammen und wir sind gemeinsam unteilbar“. Ich kann nicht alleine unteilbar sein, sondern muss mich erstmal mit anderen assoziieren. Das macht diesen Mehrwert aus. Und trotzdem ist klar, #unteilbar ist mehr als die Summe seiner Teile. Es ist nicht nur additiv, in dem Sinne „wir machen irgendwie alle unser Eigenes zusammen“. Sondern wir formieren uns als etwas Neues, Anderes, was wir alleine nicht können. Und konkret ist es der Anreiz, dass wir mit #unteilbar Themen artikulieren können, die jeweils nicht in den Kernbereichen der einzelnen Organisationen liegen. Zum Beispiel, dass eine Organisation, die nicht explizit zu Flucht und Migration, Feminismus oder Klimagerechtigkeit arbeitet, sondern eigentlich im Bereich der sozialen Dienste tätig oder ein Wohlfahrtsverband ist, trotzdem sagen kann: Das sind alles Themen, die für uns wichtig sind, weil wir verbunden sind durch eine gesellschaftliche Ungleichheit und durch Ungerechtigkeit. Und nicht zuletzt haben wir mehrere spontane Demonstrationen organisiert, wie nach dem rechtsterroristischen Anschlag von Halle im letzten Jahr oder dem Dammbruch in Thüringen zusammen mit Erfurter:innen im Februar dieses Jahres. Wir waren uns einig, dass wir reagieren müssen und eine klare Botschaft gegen Rechtsterrorismus und für Solidarität mit allen von Rechtsterrorismus Betroffenen zu zeigen und auch klarzumachen: Jegliche Kooperation mit der AfD widerspricht dem Grundkonsens einer solidarischen Gesellschaft. Solche spontanen Demos kann niemand alleine organisieren, im Bündnis ist es zusammen möglich.
Kannst du konkreter benennen, wie ihr es schafft, diese Kämpfe zu verbinden?
Unsere letzte größere Aktion war #SoGehtSolidarisch am 14. Juni 2020, die wir dezentral gemacht haben in zehn Städten, darunter Berlin, Leipzig, Hamburg, Plauen, Erfurt, Freiburg und Geislingen, also auch in kleineren Städten. Das war zu einem Zeitpunkt, an dem viel Unklarheit herrschte, aber wir erwartet haben, dass eine massive wirtschaftliche Krise auf uns zukommt. Diese Erwartung haben wir immer noch und sehen trotzdem, dass es durch Regierungshandeln abgefedert und befriedet wurde. Aber an dem Zeitpunkt war auch gar nicht so klar: Wogegen müssen wir jetzt kämpfen, was wird sich zuspitzen? Es war klar, dass soziale und politische Ungleichheit zunimmt, die Chancengleichheit in der Bildung noch weiter abnimmt und dass häusliche Gewalt wiederum zunimmt. Auch die Sorge davor, dass Klimapolitik nochmal weiter ins Hintertreffen gerät, weil ja alles andere wichtiger ist, bestand berechtigterweise. Und in alldem konnten wir unsere Forderungen nicht mehr richtig auf die Straße tragen. Ich hab jetzt nochmal ausgeholt, weil es manchmal relativ klar auf dem Tisch liegt, was das Problem ist, auch wenn eine gewisse Komplexität besteht. Zum Beispiel wie es im Sommer 2018 oder auch vor den Landtagswahlen in Sachsen 2019 der Fall war. Jetzt sahen wir uns vor eine höchst unklare Situation gestellt. Und da haben wir schon darüber nachgedacht, was wir alles in unseren Aufruf aufnehmen. Dort haben wir das Bedürfnis, das Begehren nach Solidarität artikuliert. Der war zu Beginn der Coronapandemie in Deutschland nochmal ganz anders im öffentlichen Diskurs präsent, der Begriff der Solidarität. Insofern haben wir unser Motto #SoGehtSolidarisch mit der zukunftsweisenden Frage verbunden: Wie kommen wir jetzt in eine solidarische Gesellschaft und nicht in eine noch ungerechtere, noch ungleichere? Dabei wurde darum gerungen, welche Adjektive in dem Aufruf stehen und in unserer Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden sollen. Wir haben gesagt: antirassistisch, klimagerecht, geschlechtergerecht und sozial. Das waren die vier Stichworte, unter denen wir insgesamt diesen Aufruf gespannt haben. Aber andere hätten sicher gerne andere gesehen.
Du hast es gerade schon anklingen lassen: Solidarität ist ein wichtiges Stichwort bei euch, worauf ihr euch auch immer wieder beruft. Was bedeutet für euch Solidarität?
Solidarität ist meines Erachtens ein verbindender Begriff von Beziehungen, der im besten Fall entindividualisiert ist. Also nicht ein Almosen oder eine direkte Gabe nur an eine Person, sondern sehr wohl in einem Verhältnis von vielen, eben auch teilweise anonym und wobei man das Ganze im Blick behält. Solidarisch sein ist eine Form von Haltung, die sich immer wieder auf den Prüfstand stellen muss. Ich kann nicht permanent mit jemandem solidarisch sein, sondern das muss sich durch ein Handeln ausdrücken. Aber es muss immer wieder in der jeweiligen Situation überprüft werden, wo Solidarität gefordert ist. Praktische Akte der Solidarität sind, auf Unrecht hinzuweisen oder auch jemanden zu unterstützen, finanziell, im Persönlichen oder ähnliches. Aber der Kern von Solidarität ist, dass es nicht an Freundschaft oder Familienbeziehungen gebunden ist. Da klingt auch der Unterschied von Gesellschaft und Gemeinschaft an. Insofern ist es ein wichtiger Begriff, den #unteilbar wiederbelebt. Nicht zuletzt ist Solidarität ja auch ein ganz starker Begriff aus einer linken Bewegungs-, vor allem Arbeiter:innentradition, aber er hatte auch früher mal kirchliche Anklänge. Es ist ein Begriff, den ich für richtig halte zu rehabilitieren, denn Solidarität kann ein gesellschaftliches Begehren ausdrücken. Das ist auch eine der Grundfesten von #unteilbar: zu sagen, es gibt in der Gesellschaft dieses Begehren nach Solidarität und nach einem solidarischen Miteinander. Aber insbesondere durch Sozialabbau, dadurch, wie wir neoliberal und vereinzelt leben und wir sehr stark um unser einzelnes Wohl kämpfen müssen, ist die Frage, was für Beziehungs- und Lebensweisen wir eigentlich miteinander führen können und wollen, stark ins Hintertreffen geraten. Insofern ist es natürlich ein übergreifender Wurf und immer wichtig deutlich zu machen: Unsere Solidarität kennt keine Grenzen, wir kämpfen auch für das Recht auf Asyl und – wie derzeit wieder besonders offenbar wird – gegen den menschenrechtswidrigen Umgang mit Geflüchteten an den EU-Außengrenzen. Solidarität bestimmen wir bei #unteilbar somit in unserer Arbeitsweise, als verschiedene Akteur:innen untereinander solidarisch in den verschiedenen politischen Anliegen zu sein. Ebenso ist Solidarität ein gesellschaftliches Verhältnis. Solidarität ist somit zugleich Praxis und Begehren, das wir artikulieren.
Merkt ihr, dass ihr dabei an Grenzen stoßt, weil man nur immer mit bestimmten Akteur:innen solidarisch sein kann und dabei teilweise wieder Ausschlüsse entstehen können? Wenn ja, wie geht ihr damit um?
Ja, wir stoßen an Grenzen dabei, was wir gemeinsam als Bündnis fordern oder unterstützen, wie wir Solidarität mit einzelnen Kämpfen zeigen. Denn obwohl ich benannt habe, dass #unteilbar mehr ist als die Summe seiner Teile, ist #unteilbar trotzdem ein Bündnis und damit nur bedingt eine eigenständige Akteurin. Wir haben schon auch immer die einzelnen Teile im Blick. Wir zeigen uns mit manchen Aktionen, die grundsätzlich zu unserem politischen Anspruch passen, nicht öffentlich solidarisch, weil unsere Politik eine andere ist oder unser gemeinsamer Konsens ein anderer ist. Vor allem was Aktionsformen betrifft, aber eben auch manchmal spezifische Forderungen, die weitgehender sind als in unserem Bündniskonsens. Das kommt schon vor und das ist auch schmerzhaft. Aber ich finde es wichtig, weil verschiedene Formen von politischem Handeln und Sich-Assoziieren verschiedene Zwecke erfüllen können und trotzdem in der Debatte darüber miteinander in Verbindung stehen. #unteilbar ist somit ein Modus, ein Prozess des Auslotens über das Gemeinsame. Und darauf kommt es an: Uns in polarisierten Momenten zu Wort zu melden, als Zusammenschluss.
Wie geht ihr dann intern mit Differenzen und Widersprüchen um, weil ihr ja ein sehr breites Bündnis seid mit sehr vielen verschiedenen Akteur:innen, die innerhalb schon sehr unterschiedliche Politiken verfolgen?
Auch dafür versuchen wir, in vielem Kompromisse zu finden. Ein Beispiel ist der DGB und Klimagerechtigkeitsgruppen wie Fridays for Future oder Ende Gelände. Letztere würden natürlich, um es plakativ zu machen, gerne sagen: „Wir sind unteilbar, indem wir die komplette fossile Industrie dichtmachen.“ Das funktioniert dann halt nicht so gut zu Positionen, die die IG Metall innerhalb des DGB vertritt. Insofern sind unsere Aufgaben, verschiedene Themen zu verbinden, in einem übergreifenden Narrativ. Das Besondere ist, die einzelnen Themen zusammen zu äußern. Wir hatten das zum Beispiel im Juni 2020 bei der Frage nach den Wegen aus der Coronakrise. Wir haben einerseits gesagt: „Wir brauchen staatliche Investitionen und staatliche Programme, die arbeitnehmer:innenfreundlich sind und die aber auch Klimaziele im Blick haben.“ Natürlich würden jeweils die einzelnen Akteur:innen weitergehende Forderungen dazu alleine äußern. Das zusammen zu sagen, mag im ersten Moment eher langweilig klingen. Aber es ist für die Einzelnen und auch das Bündnis insgesamt von Mehrwert, dass die Akteur:innen gemeinsam auf die Straße gehen und sagen: „Wir sind zusammen, weil wir für eine bessere Zukunft streiten, auch wenn wir sie uns teilweise unterschiedlich vorstellen.“
Für Sachsen gibt es ein ganz konkretes Solidaritätsversprechen. Gab es schon mal die Notwendigkeit, sich darauf zu beziehen und wenn ja, wie hat das geklappt oder was habt ihr da gemacht?
Dieses Solidaritätsversprechen ist handlungsleitend für die Politik und den Umgang miteinander, insbesondere in Sachsen. Weil es die Frage so stark auf den Tisch bringt: Wie können wir solidarisch mit Projekten und Personen sein und wie können wir Unterstützungsarbeit leisten? In manchen Fällen war es so, dass wir einen Spendenaufruf geteilt haben für ein Projekt, was angegriffen wurde und Gelder brauchte. Manchmal ist es auch eher ein persönliches Nachhorchen und schauen, wo Unterstützung gebraucht werden kann. Ein andermal besteht es auch darin, dass wir bündnisintern auf Bedrohungen von Projekten oder Unterstützungsbedarf aufmerksam machen. Es wird auf verschiedenen Ebenen gebraucht. Aber wir nutzen es bisher eher als Versprechen und als Arbeitsgrundlage miteinander in Sachsen. Wir haben es öffentlich gemacht und wir sagen öffentlich, dass wir dieses Versprechen miteinander haben, aber in unserer Arbeit und unserer Auseinandersetzung wird es eher intern genutzt.
Im Winter 2019/2020 gab es zum Beispiel eine Organisation, die massiv angegriffen wurde durch AfD-Kommunalpolitik. Denen wären gegebenenfalls alle Gelder entzogen worden und da haben wir überlegt, ob wir eine größere öffentlichkeitswirksame Kampagne machen wollen. Da war dann aber der Wunsch dieses Vereins, das erstmal weiter auf kommunalpolitischer Ebene anzugehen, bevor man es in der Öffentlichkeit skandalisiert. Es war also ein Suchen nach Möglichkeiten und Angeboten, aber die Entscheidung liegt natürlich trotzdem bei den betroffenen Projekten und Organisationen.
Darüber hinaus ist auch unsere Vernetzung „Solidarischer Osten“, in dem Initiativen und Organisationen aus ganz Ostdeutschland zusammenkommen, um Herausforderungen und Möglichkeiten solidarischer Unterstützung und auch Sichtbarkeit zu diskutieren und Perspektiven zu entwickeln, von dem Solidaritätsversprechen getragen. Dafür bildet es auch eine Grundlage.
So ein langer Kampf und politische Arbeit frisst natürlich auch Energien. Wie stellt ihr Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit her in eurer politischen Arbeit? Ist das überhaupt ein Thema bei euch?
Ja, das ist immer mal wieder Thema, aber wenig systematisch, was sicher auch daran liegt, dass wir altersmäßig sehr gemischt sind: von Personen, die gerade erst ein paar Jahre aus der Schule raus sind, bis hin zu Personen, die dadurch, dass ihre Berufstätigkeit zu Ende geht, nochmal mehr Zeit haben. So sind durch die Bank Menschen in jedem Lebensalter zu finden. Insofern stellt sich die Frage nach nachhaltigem politischem Aktiv-Sein ganz unterschiedlich für die Einzelnen. Manche sind es gewohnt, jede Woche 60 bis 70 Stunden zu arbeiten, andere schaufeln sich explizit für #unteilbar sehr viel Zeit frei oder müssen schauen, wie sie es mit ihren Kindern und anderer Sorgearbeit vereinbaren. Was es eher nachhaltig macht, ist, dass innerhalb des Bündnisses politische Freundschaften, aber auch Vertrauen entstanden sind, die es für viele angenehm macht, miteinander zu arbeiten. Wir merken aber auch, dass die Arbeit nicht gleichmäßig verteilt ist und dass einige deswegen, weil der politische Modus für sie nicht mehr funktioniert oder politische Differenzen bestehen, pausieren oder nicht mehr aktiv mit dabei sind. Und ja, dieser Arbeitsmodus produziert auch Ausschlüsse. Es ist schon eine politische Arbeit, die extrem fordernd ist, in die die meisten Aktiven ehrenamtlich viel Zeit reinstecken und die trotz unseres Anspruchs, im Miteinander solidarisch zu sein und miteinander zu arbeiten, auch kräftezehrend ist. Man steckt es nicht einfach immer so weg. Auch weil wir dieses Jahr zwei sehr kurzfristig organisierte Aktionen gemacht haben. Aber das gemeinsame Arbeiten setzt ebenso wahnsinnig viel Energie frei und bestärkt uns. Und wir arbeiten definitiv daran, unsere politische Arbeit langfristig auszurichten.
Würdest du sagen, dass es generell ein wichtiges Thema bei euch ist: emotionale und arbeitstechnische Belastung und der Umgang damit?
In unserem Büroteam schon stärker, weil für uns die Trennung zwischen politischem Aktivismus und Lohnarbeit nicht so stark ist und dadurch nochmal ein anderes Thema der Abgrenzung entsteht. Insgesamt findet die Auseinandersetzung aber eher auf der persönlichen Ebene statt und in den Arbeitsstrukturen eher implizit oder in einer Auswertung, als dass es regelmäßig Thema ist.
Dann noch eine letzte Frage: Jenseits eines Abwehrkampfes, was ist denn dein positiver Entwurf von einer besseren Gesellschaft?
Ich denke, das ist das, was viele Einzelpersonen, aber auch Organisationen an #unteilbar interessant finden oder weshalb sie dabei sind. #unteilbar ist nicht nur ein Abwehrkampf. Sondern das Wort an sich, uns nicht teilen zu lassen in unseren Kämpfen, ist schon ein klarer Entwurf und eine positive Haltung: „Solidarität statt Ausgrenzung! Für eine offene und solidarische Gesellschaft“, das ist von Beginn an unser Motto. Das ist einerseits ein gesellschaftlicher Gegenentwurf zu dem, wie wir jetzt leben. Und trotzdem können wir sagen: „Sie scheint ja schon auf, die solidarische Gesellschaft.“ In vielem, was verschiedenste Projekte, Organisationen und Initiativen tagtäglich realisieren und wie wir leben. Vorhin habe ich schon über Beziehungsweisen gesprochen. Wir leben ja nicht nur in der konservativen Imagination von Mutter-Vater-Kind-Beziehungen, das ist ja fernab der realen Pluralität von Lebensweisen. Es ist trotzdem noch ein Kampf notwendig dafür, dass wir alle selbstverständlich und selbstbestimmt so leben können, wie wir es wollen. Materiell ist das mit staatlichen Einschränkungen verbunden. Es hat aber auch damit zu tun, dass Homophobie weiterhin verbreitet ist. Das als ein Aspekt. Was wir als #unteilbar im Kern artikulieren ist: „Wir lassen nicht zu, dass Sozialstaat, Flucht und Migration gegeneinander ausgespielt werden.“ Wir bestehen auf dem Recht auf Asyl und transportieren insofern auch eine globalere Vorstellung von Gesellschaft, dass Menschen nicht an Grenzen sterben sollen müssen. Und wir wollen ein Zusammenleben, in dem Menschen nicht in Armut leben müssen. Das sind für mich persönlich drei Punkte, die aber alle, unterschiedlich, auch in #unteilbar-Aufrufen benannt werden. Unteilbar sein heißt, die Verschiedenheit von uns als Menschen anzuerkennen und die Freiheit, uns entfalten zu können. Es heißt die Freiheit von Einschränkung, die Freiheit von Diskriminierung und auch die Freiheit von rechten Angriffen, rechtem Gedankengut. Das ist grundlegend für unsere gemeinsame Politik und das kann und muss immer neu ausbuchstabiert werden, was es bedeutet. Dennoch ist das Einende wirklich, dass wir den Anspruch haben, eine Vision eines Anderen, einer solidarischen Gesellschaft, immer wieder zu formulieren.
Über die Autorinnen
Rebecca Rahe, 29, ist Soziologin, arbeitet in Berlin im #unteilbar-Büro und ist dort unter anderem für die Öffentlichkeitsarbeit tätig. Sie hat lange in Leipzig gelebt und war dort in verschiedenen zivilgesellschaftlichen Initiativen aktiv.
Mara Knauthe studiert im Bachelor Soziologie und Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Sie ist ehrenamtlich aktiv in der hochschulpolitischen Gleichstellungsarbeit und beim Netzwerk für Demokratie und Courage.
Aus der Publikation „Politisch Handeln im autoritären Sog“
2020 | Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen, Kulturbüro Sachsen und Netzwerk Tolerantes Sachsen | Förderhinweis | ISBN / DOI 978-3-946541-39-4 | CC-BY-NC-ND 3.0