Berichterstattung über Protest
Was brauchtʼs für die Schlagzeile von morgen?
Der Einsatz für Grund- und Menschenrechte, die Stärkung demokratischer Kultur, die Akzeptanz von Vielfalt in unserer Gesellschaft: Viele Themen progressiver Aktivist:innen enthalten keinen Skandal, übertreten keine Grenzen und brechen keine gesellschaftlichen Tabus. Wie können sie es dennoch schaffen, Medienschaffende für ihre Aktionen zu interessieren? Bei zugänglichen Medien empfiehlt es sich, Journalist:innen einzubinden in Projekte. Persönliches Ansprechen, das Herstellen längerfristiger Kontakte kann helfen. Besonders Lokalredaktionen sollten Aktivist:innen etwas inhaltlich Konkretes anbieten, nicht „etwas mit Demokratie“, für das sie erst ihre Vorstellungskraft bemühen müssen. Sie stehen beim täglichen Seitenplanen unter Zeitdruck, weshalb zu Abstraktes leicht untergeht. „Zukunftswerkstatt“ und „Demokratieworkshop“ sind wichtig, klingen aber zu unsexy. „So krempeln wir die Gesellschaft um“, „Wir hauen auf den Putz“ oder „Bahn frei für den Dreiradkonvoi!“ wecken eher journalistisches Erstinteresse.
Abschließend folgt eine Liste mit Hinweisen, die die Berichterstattung über ein Projekt, eine Demonstration, eine Aktion begünstigen. Das ist kein Katalog mit Gelingt-immer-Rezepten. Sich daran zu orientieren, erhöht aber die Chancen auf Berichterstattung. Und wenn man ein bisschen Verständnis für den Journalismus gewinnt, wird es leichter, an Journalist:innen heranzukommen und sie für eigene Anliegen zu interessieren.
Ansprechpartner:innen
Das sollten nicht nur die Journalist:innen der Politik- und Lokalredaktionen sein. Gerade bei der Freien Presse, Sächsischen Zeitung und Leipziger Volkszeitung sitzen die offeneren und liberaleren Journalist:innen in den Kulturredaktionen. Deshalb ist es sinnvoll, zu überlegen, wie man einen Bogen schlagen kann, um sie mit Aktionen anzusprechen. Vielleicht baut man in eine Kundgebung theatrale Formen ein, macht Diskussionsformate mit Lesungen, Filmvorführungen etc.? Das wird in jedem speziellen Fall anders sein, teilweise unmöglich. Aber die progressiveren Kräfte in den Redaktionen sollten Aktivist:innen nicht ignorieren.
Ein gutes Projekt ohne damit verbundene Story wird oft nur zur Notiz reichen.
Nachrichtenwert
Natürlich muss eine Aktion einen Nachrichtenwert haben, um es in die Berichterstattung zu schaffen. Das kann eine reine Information im Sinne einer Neuigkeit sein. Zusätzlich erzeugen Emotionen, Nähe und die Lokalisierung vor Ort gute Gründe, um über eine Aktion zu berichten. Auch Personalisierung und Überraschung („Mann beißt Hund“) funktionieren gut. Gerade der emotionale Aspekt ist nicht zu unterschätzen. Man mag es traurig finden, dass Gefühliges – „Kinder und Tiere gehen immer“ – besonders gern aufgegriffen wird. Vielleicht denken die Journalist:innen: „Das ist ja ungewöhnlich“ oder „Da steckt eine Geschichte dahinter“. Ein gutes Projekt ohne damit verbundene Story wird oft nur zur Notiz reichen.
Sparsamkeit
Journalist:innen lieben schlanke Pressemitteilungen. Übersichtlich sollen diese als Informationsgrundlage Fakten liefern und zu Ideen verhelfen, aus denen Beiträge entstehen können. Seriöse Medien übernehmen Pressemitteilungen nicht im Wortlaut. Daher wirkt die Formulierung „Wir bitten um Abdruck“ befremdlich. Die Mitteilung muss sofort begeistern, die Journalist:innen interessieren oder verwirren, jedenfalls ihre Aufmerksamkeit wecken (→ Nachrichtenwert). Der Text gehört direkt in die Mail kopiert und nicht in den Anhang, denn Herunterladen ist ein Schritt mehr, und jeder Mehraufwand stört die Arbeitsroutine.
Verständlichkeit
„Smash“, „fight“ und „reclaim“, „BPoC“, „Heteronormativität“ und „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ – Anglizismen wirken als Motto kämpferisch, Fachtermini sind für genaue Benennungen essentiell. Aber in Presseinformationen schrecken sie einfach viele Journalist:innen ab, weil sie die Worte nicht (richtig) verstehen und sich der Text für sie inhaltlich sperrt. Ebenso vermittelt er ihnen das Gefühl, sich nicht auszukennen oder das Thema erst aufwändig erschließen zu müssen. Daher sollten Aufrufe an die eigene Peer-Group nicht eins zu eins als Pressematerial verwendet werden.
Flexible Kommunikation
Das starre Festhalten an eigenen Sprachregelungen gegenüber der Presse ist kontraproduktiv. Man muss es nicht verstehen, aber einsehen, dass die meisten Medien zum Beispiel nicht gendern. Gibt eine Gruppe ein Interview nur frei, wenn es mit „‑Innen“ oder „*“ erscheint, wird es eben nicht veröffentlicht. Gerechte Sprache ist eine eigene Baustelle, aber mit einer aktuellen Pressemitteilung über antirassistisches Engagement im Jugendparlament wird man da nicht abhelfen können.
Timing
Frühzeitiges Informieren hilft Journalist:innen ungemein. Sie haben meist mehrere Themen gleichzeitig im Kopf und müssen diese zeitlich organisieren. Die Information muss noch nicht vollständig sein. Ein „Da kommt was“ reicht schon für die Planungen. Man kann mit zugänglichen Journalist:innen auch Vorabsprachen treffen. Und will man nicht, dass die Presse zu früh über eine Aktion berichtet, setzt man eine Veröffentlichungssperre: „Sperrfrist: Bitte nicht vor dem T.M.JJ um XX:YY Uhr veröffentlichen.“
Nachhaken
Man kann Journalist:innen nicht zu oft informieren. Höfliches Nachfragen, ob denn schon eine Berichterstattung geplant sei oder man mit weiteren Informationen helfen kann, schadet nicht.
Füllmaterial
Termin und Anlass einer Aktion kann man sich als Skelett vorstellen. Fürs Publikum müssen Journalist:innen dieses mit Material füllen, damit es greifbar wird. Man kann sie dabei unterstützen, solch verwertbares und konkretes Material zu finden. Fernsehen braucht gute Bilder etwa von kreativen Aktionen, für Radio und Print sind zitierfähige Aussagen (O-Töne) notwendig.
Spontan gut vorbereitet
Gerade bei spontanen Aktionen wie Flashmobs oder anderen Interventionen, die man vorher nicht ankündigen will, ist Vorbereitung wichtig. Menschen vor Ort sollten diese auf Twitter mit einer Bildberichterstattung (unter Creative Commons-Lizenz) begleiten und gezielt Journalist:innen via Erwähnung informieren. Eine möglichst rasch nachgeschobene Presseinformation sollte pointierte O-Töne und Fotomaterial enthalten.
Presseverantwortliche
Muss man den/die Presseverantwortlichen nicht erst auf der Demonstration suchen, erleichtert das die journalistische Arbeit. Die Person sollte legitimiert sein, Zitierfähiges zu sagen, ohne sich erst mit der Gruppe absprechen zu müssen. Muss ein Interview erst noch einmal vom Kollektiv – schlimmstenfalls über E-Mail-Ping-Pong – abgesegnet werden, sprengt das nicht nur den zeitlichen Rahmen. Es verwässert auch die Aussagen zur Unleserlichkeit.
Pointiertheit
Interviews und andere Statements an die Presse sind keine wissenschaftlichen Arbeiten, schon weil das Publikum breit ist. Man bekommt nicht alles unter, kann nicht jedes Detail erklären. Der Stil von Demoreden ist Menschen jenseits der eigenen Peer-Group zu anstrengend, ja zu langweilig. Also sollte man sich bemühen, die Sachverhalte verständlich und begreifbar zu erklären.
Sachverhalte verständlich und begreifbar erklären
Weiterführendes Informieren
Zugängliche Medienvertreter:innen kann man zu Hintergrundgesprächen einladen oder mit kontinuierlichen Hinweisen zu Entwicklungen in der Region versorgen. Das ermöglicht ihnen, gerade langfristige Geschichten zu begleiten.
Ego-Streichler
Gute Journalist:innen brennen genauso für ihre Arbeit wie Aktivist:innen für ihr Engagement. Und freuen sich genauso darüber, wenn ihre Arbeit wahrgenommen wird. Daher kann ein Lob, wenn sie berichtet haben, nicht schaden.
Viel Erfolg!
Zum Autor
Tobias Prüwer studierte Philosophie und Geschichte in Leipzig und Aberdeen. Als freier Kulturjournalist schreibt er unter anderem für das Leipziger Stadtmagazin kreuzer, für Der Freitag, Jungle World, Nachtkritik und Jüdische Allgemeine. Als Autor beschäftigt er sich mit Kulturgeschichte und Bildungstheorie, zuletzt erschien „Welt aus Mauern. Eine Kulturgeschichte“ (2018). Er ist zudem Mitverfasser des „Wörterbuchs des besorgten Bürgers“, einer bissigen Analyse des Sprachgebrauchs der Rechtspopulist:innen.
>>Seite 4 | Literatur
Aus der Publikation „Politisch Handeln im autoritären Sog“
2020 | Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen, Kulturbüro Sachsen und Netzwerk Tolerantes Sachsen | Förderhinweis | ISBN / DOI 978-3-946541-39-4 | CC-BY-NC-ND 3.0