AKuBiZ: Wie weiter nach der Landtagswahl?
Was sollen wir nach so einem Ergebnis sagen? Was wären die richtigen Worte? Worte des Wutes, Worte der Enttäuschung, Worte der Zuversicht?
Wir haben die AfD sicher nicht unterschätzt. Was wir unterschätzt haben, ist die Tatsache, dass eine hohe Anzahl von 200.000 Nichtwähler*innen, der AfD ihre Stimme gegeben haben. Die AfD verband von Beginn an ihr politisches Programm mit der Hetze gegen bestimmte Menschengruppen. Auch ihr sozialer Anstrich, u.a. die Forderung nach Abschaffung von Hartz IV, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich maßgeblich um eine Partei des Mittelstandes handelt. Das heißt auch, dass sie auf drängende soziale Fragen wie bessere Arbeits- und Lebensbedingungen in der Pflege oder steigende Mieten keine solidarischen Antworten bieten kann.
Das sachsenweite Endergebnis lautet 32,1 Prozent der Zweitstimmen für die CDU – vor der AfD mit 27,5 Prozent. Die Linken erreichen 10,4 Prozent, die Grünen 8,6 Prozent, SPD 7,7 Prozent. Freie Wähler und FDP verpassen den Einzug in den Landtag. Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sah die Situation schon deutlich anders aus. Die Ergebnisse im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge liegen im sächsischen Mittelfeld. Das Schlimme ist, es sind nicht die schlimmsten Ergebnisse. Der Landkreis ist wahltechnisch immer noch geteilt. Holten, wenn auch knapp, im ehemaligen Weißeritzkreis (Osterzgebirge) die CDU beide Direktmandate, erlangten in der Sächsischen Schweiz die Direktkandidaten der AfD beide Mandate. In der Sächsische Schweiz kam zusätzlich auch die NPD auf 1,3 Prozent, im Osterzgebirge hingegen nur auf 0,5 Prozent. Frauke Petry und die Blaue Wende spielten am Ende keine entscheidende Rolle. Sie kam im Wahlkreis 50, wo sie als Direktkandidatin antrat, auf 805 Erststimmen (2%). Ihre Partei holte rund 1 Prozent.
Die hohen Ergebnisse holte die AfD teils mit absurden Positionen, die den sogenannten ländlichen Raum eher schwächen als stärken werden. So forderte sie die Lausitz zum Standort für ein Atomkraftwerk zu machen. Im Wahlforum der Landeszentrale für politische Bildung in Pirna erklärte der Dirketkandidat Jan-Oliver Zwerg, dass für ihn der Ausbau der Strasse für den PKW-Verkehr die Priorität vor dem Ausbau und damit der Vernetzung des ÖPNV besitzt. Auch gehört Zwerg zu denen, die vor der Ermordung von Menschen an der Grenze keinen Halt machen würden. In einer Pressemeldung erklärte er dazu: „Für Deutschland kann das nur heißen: Grenzen dicht und in letzter Konsequenz auch von der Schusswaffe Gebrauch machen“1 Nach der Wahl erklärte Zwerg in Pirna TV, dass er davon ausgehe, der Partei sind 8-12 Plätze verloren gegangen, da Bürger*innen taktisch gewählt hätten. Außerdem sei die AfD bereit in Gespräche mit der CDU zu gehen, um den „Wählerwillen“ umzusetzen.2
Es gibt aus unserer Sicht auch nichts zu feiern oder schön zu reden. Die Floskel „Aber 70% haben keine Nazis gewählt“ ist keine Entschuldigung dafür, dass rund 30% die AfD gewählt haben. Rund 30% sind rund 30% zu viel. Natürlich haben auch 2/3 eben nicht die sogenannte Alternative gewählt aber im Sinne der „Wir sind mehr!“-Kampagne stellt sich die Frage: Wer ist Wir? Sind Wir die CDU-Sympathisant*innen, die nicht mit „Extremist*innen“ ein Zeichen für eine unteilbare Gesellschaft setzen wollen. Oder sind Wir die über 20 Prozent FDP-Wähler*innen, die sich eine Koalition mit der AfD vorstellen können? Oder sind wir die Grünen, SPD und LINKEN im Pirnaer Stadtrat, die 2019 nicht bereit sind, eine gemeinsame (größte) Fraktion zu bilden? Sicher nicht.
Laut ZDF-Info entschieden sich, im Gegensatz zu Brandenburg, 70% der AfD-Wähler*innen für die Partei wegen ihrer Positionen. Es ist in Sachsen ein rechter Block entstanden, dem teilweise CDU, Freie Wähler oder FDP angehören. Im Pirnaer Stadtrat gibt es zusätzlich Petrys Blaue Wende. Bereits in der ersten Stadtratssitzung wurde die Richtung klar gezogen. Der „Pirna kann mehr!“ (Blaue Wende) Kandidat Tim Lochner lobte auf deren Homepage danach die gute Zusammenarbeit seiner Initiative mit AfD, CDU und Freien Wählern: „Der Fraktion „Die Linke“ und der Fraktion „Grüne/ SPD“ blieb nur das Stilmittel der ‚Enthaltung‘ um ihren Unmut kund zu tun. Die deutlich gemachte Einigung der drei großen Fraktionen (je 5 ) plus PKMBWBI (4) und meiner bescheidenen Fraktionslosigkeit ließ rot/rot/grün keinen anderen Handlungsspielraum, außer Zeichen des Unmutes zu setzen. Im Zeichen setzen ist diese politische Stilrichtung ja geübt.“3 Die Freien Wähler feierten hingegen die Entscheidung als „Achtung und Respekt“ vor dem Gegenüber und sachliche Umsetzung des „Wähler-Willens“. Warum dann allerdings die LINKE (11,2 %) als viertstärkste Kraft keinen Ausschusssitz erhält, während der fraktionslose Tim Lochner („Pirna kann mehr!“ 9,9 %) gleich drei Sitze bekommt, erklären sie nicht. Sie zeigen damit allerdings die politische Ausrichtung der neuen Legislaturperiode an.
„Aber hier leben, nein danke“
Bereits mit Beginn der 90er Jahre gab es in der Region eine gefestigte Nazistruktur, die ihren Höhepunkt in der Gründung der Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) fand. Mutmaßlich wurde diese in durch die NPD gestützt. Auch vor der SSS waren aktive Gruppen wie die Wiking Jugend oder die Kameradschaft Pirna durch Gewalttaten auffällig geworden. Über viele Jahre allerdings wurde das Problem verharmlost, verdrängt und akzeptiert. So konnte die SSS-Band 14 Nothelfer mit klassischem deutschen Rechtsrock in Pirna einen Newcomerpreis gewinnen, der von der Sächsischen Zeitung und örtlichen Sparkasse ausgelobt wurde. Der ehemalige SPD-Abgeordnete Ivo Teichmann besuchte die Beerdigung des lokalen NPD-Chefs Uwe Leichsenring und wunderte sich später über Kritik. Er distanziere sich immer schon von „Rechtsextremen“ und kämpfe aktiv gegen Rechts, widersprach der heutige AfD-Landtagsabgeordnete Teichmann damals.4 Teichmann, der 2004 als SPD-Direktkandidat keine 10 Prozent holte, gewann nun für die AfD den Wahlkreis und zieht so in den Landtag ein. Mit Logik ist der hohe Stimm-Anteil der AfD eben nicht zu erklären. Der in Freital wohnhafte Jan-Oliver Zwerg verfehlte in seinem „Heimatort“ deutlich den Einzug in den Stadtrat. Im Pirnaer Wahlkreis hingegen, wo er weitestgehend unbekannt ist, erlangte er das Direktmandat. Die Menschen im Osten, die sich als „Ossis“ nicht ernst genommen fühlen und sich nicht mehr von „Wessis“ die Welt erklären lassen wollen, wählen nun Leute wir Carsten Hüter (Unna, NRW) zu ihrem Sprachrohr.
Es ist in den letzten Jahren ein immer größeres Gefälle zwischen Städten und dem ländlichen Raum entstanden, der sich nicht nur in den Wahlergebnisse ausdrückt. Es gibt eine – im schlimmsten Fall – gegenseitige Abwertung der Bewohner*innen. Wohnen für einige Menschen aus der Stadt im ländlichen Raum „nur dumme Bauern“, schauen Menschen vom Lande häufig mit Verachtung auf die kulturell vielfältigen Bezirke, denen sie eine hohe Kriminalität, abgehobene Intellektualität oder weltfremde Einstellungen unterstellen. Menschen, die aus der Stadt in den ländlichen Raum ziehen, fühlen sich häufig als Außenseiter*innen – bleiben die, die nicht von hier kommen. Damit wird häufig auch ein Recht auf „Mitsprache“ oder eine „Positionsbeziehung“ abgesprochen. Dies erleben wir nun schon seit mehr als 15 Jahren. Wir sind in Pirna und dem Landkreis seit 2001 als Verein ehrenamtlich aktiv. Seit Beginn unserer Arbeit hatten wir mit einer starken NPD und deren Umfeld zu tun. Sie saß im Pirnaer Stadtrat, im Kreistag und im sächsischen Landtag. Körperliche Angriffe und Sachbeschädigungen, u.a.der Kulturkiste und Diffamierungen, haben wir in den Jahren unserer bisherigen Arbeit verkraften müssen. Dies konnten wir aushalten, weil wir auf eine bundesweite Solidarität zurückgreifen konnten und weiterhin können. Sie stärkte uns und schaffte Zuversicht und Mut.
Mit Pegida und dem Erstarken der AfD hat sich die Situation im
Landkreis verändert. Übergriffe und Anfeindungen kommen nicht mehr „nur“
von organisierten Nazis oder deren parlamentarischen
Unterstützer*innen. Vielmehr sind es Menschen über 50, die durch
diskriminierendes Verhalten und Handeln ein Bedrohungsszenario erzeugen
und eine gesellschaftliche Atmosphäre prägen. Diese können, wollen und
werden wir nicht ertragen, sondern uns weiterhin für solidarische und
antifaschistische Grundwerte einsetzen. Wir haben in Pirna
beispielsweise die Kulturkiste, das Internationale Begegnungszentrum der
AG Asylsuchende oder das Begegnungszentrum des CSD e.V.
Sollte es
aus diesem Wahl-Desaster wenige Tage später irgendetwas kundzutun geben,
dann kann es nur heißen: lasst uns zusammenrücken, lasst uns besser
vernetzen, lasst uns unsere Arbeit intensivieren. Lasst uns gemeinsam
überlegen, wie wir die nächsten Jahre gestalten wollen, um dafür zu
sorgen, dass die AfD bei der nächsten Wahl mit ihrem Ergebnis nicht
zufrieden ist.
Wie könnt ihr uns unterstützen?
Mit der Kulturkiste in Pirna haben wir seit 7 ½ Jahren in der Pirnaer Innenstadt einen Ort geschaffen, an dem wir uns treffen, Ausstellungen präsentieren und kleinere Veranstaltungen durchführen können. Hier müssen wir präsenter werden, diesen Ort noch offener gestalten und unser Angebot erweitern. Das wird sich auf Dauer jedoch nur mit einer bezahlten Teil- oder Vollzeitstelle realisieren lassen. Was wir außerdem benötigen, wäre eine Vergrößerung der Kulturkiste, um den bevorstehenden Aufgaben, den Ausstellungsanfragen oder dem Veranstaltungsbedarf besser gerecht werden zu können. Das jetzige Objekt ist zwar sehr gut gelegen, schränkt mit seinen rund 60 m2 auf drei Räumen aber leider sehr ein. Aufgeben gibt es für uns nicht, im Gegenteil. Ziel muss es sein, die Kulturkiste wieder regelmäßiger zu öffnen, präsenter sein und zu Veranstaltungen einladen. Das wird sehr viel Geld kosten und um dieses Vorhaben Wirklichkeit werden zu lassen hilft uns jede, noch so kleine, Spende. Wenn ihr an einem unserer Seminare teilgenommen oder einer unserer Arbeiten kennengelernt habt, redet darüber und informiert eure Freund*innen. Macht Werbung über unsere Angebote in den sozialen Netzwerken oder empfehlt unseren (unregelmäßigen) Newsletter weiter. Wir danken dem Support von Polylux Network und hoffen, mit eurer Unterstützung noch präsenter im Landkreis aktiv werden zu können.
Am 20. September werden wir uns mit Freund*innen und Partner*innen in der Kulturkiste treffen, um zu diskutieren, wie im Landkreis die politische Arbeit unter diesen Umständen weiter stattfinden kann. Wir werden gemeinsam die Wahl analysieren, Ideen sammeln und Pläne schmieden. Wir werden besprechen, wie wir weiterhin die vielen tollen Projekte durchführen können und solidarisch zusammenstehen. Am 27. September trefft ihr uns beim tollen Beat-im-Beet-Festival in Pirna. Nette Menschen schaffen dort einen Raum der Zusammenkunft, Diskussion und kulturellen Vielfalt. Im Oktober wollen wir noch einmal zum letzten Wanderseminar in die Sächsische Schweiz einladen und bei einer offenen Tour über die Zeit während des Nationalsozialismus referieren. Am 21. November sind wir dann zur nächsten Erinnerungspoltischen Tagung in der Evangelischen Hochschule vertreten und sprechen über unsere Ansätzen der inklusive Bildung. Jeden zweiten Donnerstag im Monat, gibt es beim Laienchor PirMoll etwas auf die Ohren. Dort werden „fast vergessene Lieder“ interpretiert und auf nicht-professionelle Weise gemeinsam Musik gemacht. Mitsingen erwünscht!
Ihr seht, es gibt also jede Menge Möglichkeiten gemeinsam zu stehen: für eine solidarische und unteilbare Gesellschaft – auch in und um Pirna.
1 – https://www.svz.de/deutschland-welt/politik/AfD-Sachsen-fordert-Schusswaffengebrauch-an-Grenze-id20559317.html
2 – https://www.pirna-tv.de/2019/09/02/cdu-gewinnt-die-sachsenwahl-die-afd-den-wahlkreis/
3 – https://www.facebook.com/PirnaKannMehr.de
4 – https://nip.systemli.org/Article271.html