Zur Unterrichtung des Landtags durch den Untersuchungsausschuss zum Umgang mit dem NSU
Anlässlich der heutigen Unterrichtung des Sächsischen Landtags durch den 1. Untersuchungsausschuss der 6. Wahlperiode zum Umgang mit dem NSU erklärt die Beratungsstelle Support für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt des RAA Sachsen e.V.:
„Der Abschluss des NSU-Untersuchungsausschusses muss Ausgangspunkt und darf keineswegs Schlussstrich unter das Kapitel rechtsterroristische Strukturen und Netzwerke in Sachsen sein. Im Ergebnis des Ausschusses hat sich gezeigt, dass Verharmlosung, mangelndes Problembewusstsein und Fehleinschätzungen einen gewichtigen Grund darstellten, weshalb der NSU und sein Unterstützernetzwerk von Sachsen aus unbehelligt agieren konnten. 10 Menschen hat dies das Leben gekostet. Viele wurden zum Teil schwer verletzt.“ so Andrea Hübler, Fachreferentin der Opferberatung Support des RAA Sachsen e.V.
Und weiter: „Seit spätestens 2015 erleben wir in Sachsen eine Eskalation der Gewalt. Angriffe, Ausschreitungen, Brand- und Sprengstoffanschläge, Hetzjagden. Es wurden mehrere Anschläge verübt, bei denen Menschen getötet werden sollten. Und allein seit 2015 bildeten sich mit „Oldschool Society“, „Gruppe Freital“ und „Revolution Chemnitz“ drei rechtsterroristische Vereinigungen in Sachsen. Zudem ist das Bundesland nochimmer beliebter Rückzugsort militanter Neonazistrukturen, wie sich zuletzt im März 2019 zeigte, als sich „Combat 18“ im ostsächsischen Mücka traf.“
Aufgabe des zweiten Untersuchungsausschusses zum Thema „NSU und Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen“ war es, mögliche Versäumnisse und etwaiges Fehlverhaltens der Sicherheits-, Justiz-, Kommunal- und sonstigen Behörden aufzuklären.
Einerseits konnte keine unmittelbare Mitverantwortung der Staatsregierung und der ihrer Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht unterliegenden Behörden bei der Entstehung und Entwicklung des NSU festgestellt werden. Andererseits stellt der Abweichende Bericht der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aber auch fest, dass „in Bezug auf das seinerzeit flüchtige und in Sachsen untergetauchte „Trio“ selbst, es in der Verantwortung und im Bereich der Möglichkeiten sächsischer Behörden und insbesondere des LfV Sachsen gelegen (hätte), geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die zum Auffinden und der Verhaftung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hätten führen können. Das Nichtergreifen des „Trios“ war eine notwendige Voraussetzung für die Herausbildung des NSU und die Entfaltung rechtsterroristischer Aktivitäten, ganz gleich, ob sie als solche erkannt wurden oder nicht.“ (S. 1106 f.) Mögliche Ursachen dafür werden im Abweichenden Bericht umfassend dargestellt. Im Ergebnis waren „die durch sächsische Behörden eingesetzten Maßnahmen nicht hinreichend, um das untergetauchte „Trio“ aufzufinden und zu verhaften, die in Sachsen begangenen Raubstraftaten aufzuklären und im Weiteren die Existenz des NSU zu erkennen und die Taten dieser Vereinigung zu verhindern“ (S. 1108) Zurückgeführt werden kann das insbesondere auf Fehleinschätzungen und mangelndes Problembewusstsein gegenüber rechter Gewalt, neonazistischer Strukturen und rechtsterroristischen Bestrebungen sowohl beim Landesamt für Verfassungsschutz als auch bei der Polizei.
Dazu Robert Kusche, Geschäftsführer des RAA Sachsen e.V: „In Anbetracht dieser Feststellungen und vor in Hinblick auf die Entwicklungen der letzten Jahre in Sachsen und die aktuellen Entwicklungen bundesweit fordern wir insbesondere folgende Punkte:
- Die Unterstützung der Landespolitik bei der Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Betroffenen und Hinterbliebenen der NSU-Taten
- Die Einrichtung eines Erinnerungsorts und eines Dokumentationszentrums zur Aufarbeitung des Rechtsterrorismus in Sachsen
- Die Verbesserte Nutzung und Vermittlung von Expertise, insbesondere durch die Einrichtung einer Forschungsstelle „Rechtsterrorismus“
- Ein verbessertes Monitoring rechtsmotivierter Straftaten und die unabhängige Überprüfung von „Altfällen“ im Bereich Tötungsdelikte auf etwaige Vorurteilsmotivation
- Die Entwicklung und Etablierung eines Gesamtkonzepts zur Zurückdrängung der extremen Rechten, sowie von Rassismus und weiteren Ungleichwertigkeitsvorstellungen
- Bleiberecht für Betroffene rechter Gewalttaten ohne Aufenthalt oder deutsche Staatsbürgerschaft
- Die Unterstützung der Zivilgesellschaft
Abschließend betont Robert Kusche: „Der Mord an Walter Lübcke in Kassel, die Ermittlungen des GBA gegen das sogenannte „Nordkreuz“ in Mecklenburg-Vorpommern, ein Netzwerk innerhalb von Sicherheitsbehörden, das sich auf den Tag X mit Feindeslisten und Munition und Leichensäcken vorbereitet haben soll, und zuletzt die unverhohlene Bedrohung des stellvertretenden sächsischen Ministerpräsidenten Martin Dulig durch die Zusendung einer Waffenattrappe, machen die Dringlichkeit, die Gefahr ernst zu nehmen und entsprechend zu handeln mehr als deutlich. Wir erwarten von den zuständigen Behörden eine adäquate Gefährdungseinschätzung und die etwaige Information potentiell gefährdeter Personen.“