Rechtsmotivierte und rassistische Gewalt in Sachsen 2017

Autor_innen: RAA Sachsen e.V. Opferberatung

Die Zahl der rechtsmotivierten und rassistischen Angriffe in Sachsen sank im Jahr 2017 wieder auf das Niveau von vor 2015. Hatten sich die Angriffe im Zuge der rassistischen Mobilisierung gegen Geflüchtete 2015 und 2016 im Vergleich zu den Vorjahren nahezu verdoppelt, reduzierten sich diese wieder – insbesondere in den Schwerpunktregionen der letzten zwei Jahre: Dresden, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und Bautzen. Der Landkreis Leipzig hingegen sticht trotz Halbierung der Angriffszahlen weiterhin im sächsischen Vergleich hervor.

Im Jahr 2017 zählten die Opferberatungsstellen in Sachsen 229 rechtsmotivierte und rassistische Angriffe. Damit sank die Zahl im Vergleich zum Vorjahr (437) um 48%. Von diesen 229 Angriffen sind 346 Personen direkt betroffen gewesen, größtenteils Männer (201). Auch 23 Kinder waren von der Gewalt direkt betroffen, aber deutlich weniger als noch im Vorjahr (73).

In mehr als acht von zehn Fällen wurde Anzeige erstattet, d.h. 190 der 229 Angriffe sind polizeibekannt, lediglich 26 Fälle wurden nicht angezeigt, in 13 Fällen ist das unbekannt. Von diesen 190 polizeibekannten Gewalttaten sind aktuell 124 Fälle auch offiziell als PMK rechts gewertet. 66 dieser Angriffe fanden sich hingegen nicht unter den vom Innenministerium auf monatliche kleine Anfragen im Sächsischen Landtag herausgegebenen Straftaten im Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität – rechts“.

25.05.2017: Dresden
Am Himmelfahrtsnachmittag attackierte eine Gruppe Männer einen 20-Jährigen jemenitischer Herkunft, der gerade mit zwei Begleitern die Alaunstraße entlanglief. Zunächst beleidigten die acht Personen den jungen Mann rassistisch, dann schlugen und traten sie ihn, sodass er mehrfach zu Boden ging. Der Betroffene wurde dabei leicht verletzt. Die Angreifer gingen Richtung Albertplatz davon.

Schwerpunkte der Gewalt bleiben auch im Jahr 2017 die Städte Dresden (52) und Leipzig (36)¹ sowie der Landkreis Leipzig (22), wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau als noch 2015 und 2016. In der Landeshauptstadt hat sich Zahl der Angriffe mehr als halbiert. In den Landkreisen Bautzen (17), Görlitz (5) und auch Mittelsachsen (7) gingen die Gewalttaten um rund 60% im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (8) sogar um fast 80% zurück.

Nur leichte bis mittlere Rückgänge sind hingegen in der Chemnitzer Region zu verzeichnen. Die Stadt Chemnitz (20, -38%), der Erzgebirgskreis (18, -22%) und der Landkreis Zwickau (16, -33%) rangieren mit dem Landkreis Bautzen (17) im sächsischen Vergleich kurz hinter dem Schwerpunkt-Landkreis Leipzig.

Die Landkreise Nordsachsen (7), Meißen (9) und Vogtlandkreis (11) verbleiben auf vergleichsweise niedrigem Niveau.

Auch im Verhältnis zur Einwohner*innenzahl bleibt das Bild der Schwerpunkte rechter Gewalt in Sachsen fast erhalten. Je 100.000 Einwohner*innen werden in Dresden 9,9, im Landkreis Leipzig 8,5, in Chemnitz 8,3 und in der Stadt Leipzig 6,9 Angriffe mit rechten Tatmotiven verübt.

20.05.2017: Dresden
Als am Samstagabend ein Mann afghanischer Herkunft auf dem Weg zum Supermarkt war, wurde er von drei Männern zunächst rassistisch beleidigt, anschließend folgten ihm die Täter und schlugen und traten auf ihn ein. Erst als die Polizei eintraf, stoppten die Angreifer die Attacke und flüchteten. Der Betroffene musste im Krankenhaus behandelt werden.

14.12.2017: Wurzen
In der Nacht wurden drei Pflastersteine durch ein Fenster in die Wohnung eines aus Eritrea Geflüchteten in der Schillerstraße geworfen. Ein Freund des Bewohners, der in dem Zimmer schlief, wurde von einem der Steine getroffen und am Bein verletzt. Die Täter, mutmaßliche Neonazis, klebten zudem Aufkleber mit der Aufschrift „Juden Chemie“ an das zerstörte Fenster.

03.09.2017: Chemnitz
Im Nachtbus schlug ein 25-jähriger Betrunkener mit einer Bierflasche auf einen 20-Jährigen Syrer und seine 17-Jährige Freundin ein. Beide wurden verletzt ins Krankenhaus gebracht.

03.09.2017: Leipzig
Als ein 34-Jähriger in der Schillerstraße zwischen zwei Autos auf dem Bordstein, saß griffen ihn unbekannte Täter offenbar ohne Grund an. Sie traten so lange auf ihn ein bis er bewusstlos wurde. Der Geschädigte wurde erheblich im Gesicht verletzt und musste in einer Klinik operiert werden. Die Polizei vermutet das Motiv bei der Bekleidung des Angegriffen; er trug einen schwarzen Pullover, des als links bekannten Hamburger Fußballvereins Sankt Pauli.

Überwiegend handelte es sich bei den Angriffen 2017 um Körperverletzungsdelikte (167) darunter 91 gefährliche und 76 einfache. In 48 Fällen handelte es sich um eine Nötigung oder Bedrohung. Insgesamt 9 Brandstiftungen, 5 davon rassistisch motiviert, wurden 2017 in Sachsen verübt. Zweimal kam Sprengstoff zum Einsatz, an einem muslimischen Gebetsraum und an einem Imbiss in Zwickau.

Seit 2012 sind die meisten der rechten Angriffe rassistisch motiviert, seit 2014 sind ca. 2/3 der Angriffe aufgrund von Rassismus verübt wurden, so auch 2017. Rassismus ist in 162 Fällen das Tatmotiv gewesen, 32 Angriffe richteten sich gegen politische Gegner*innen, 21 gegen Nichtrechte und Alternative. 3 Angriffe waren antisemitisch motiviert. In 11 Fällen blieb das konkrete Tatmotiv unklar, aufgrund mangelnder Angaben zum Themenfeld in den Antworten auf die monatlichen kleinen Anfragen zu PMK rechts im Sächsischen Landtag.

12 der 32 Angriffe auf politische Gegner*innen wurden im Umfeld von Demonstrationen verübt, allein 9 davon in Dresden. Hier finden mit Pegida nach wie vor sachsenweit die meisten rechten Demonstrationen statt, bei denen es immer wieder zu Angriffen auf Journalist*innen oder Gegendemonstrant*innen kommt.

19.06.2017: Dresden
Auf dem Neumarkt kam es am Montagabend während einer Kundgebung gegen die Demonstration von PEGIDA zu einem Angriff durch einen 24-jährigen Mann. Nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung schlug dieser gegen ein Transparent und traf dabei einen 48-jährigen Gegendemonstranten. Als dem Geschädigten Personen zur Hilfe eilten, darunter die Anmelderin des Gegenprotests, packte der 24-Jährige erst die Anmelderin und versuchte dann erneut auf den 48-Jährigen loszugehen. Das schnelle Eingreifen eines Ordners sowie der Polizei konnte Schlimmeres verhindern.

Deutlich gesunken sind Angriffe auf Unterkünfte für Geflüchtete. 2015 waren diese in 74 und 2016 noch in 53 Fällen Ziel von Angriffen geworden, darunter jeweils 19 Brandanschläge.

2017 wurden Asylunterkünfte 13-mal angegriffen, 7-mal davon allein im Landkreis Leipzig. Neben Körperverletzungsdelikten (7) und Nötigung/Bedrohung (2) handelte es sich bei den Angriffen um 4 Brandstiftungen in Wurzen, Waldheim, Plauen und Meißen.

15.01.2017: Wurzen
Eine Wohngemeinschaft von Flüchtlingen ist am Wochenende in ihrer Wohnung in Wurzen mehrfach zum Ziel rassistischer Attacken geworden. Sie wurden am Freitag von unbekannten Männern bedroht und beleidigt. Am Sonnabend wurden Fensterscheiben eingeworfen und es flog ein Brandsatz in ein Zimmer. Ehrenamtliche kamen zu Hilfe.

Eine Ursache für die Abnahme der Angriffe ist im Rückgang rassistischer Demonstrationen im Umfeld von Geflüchteten Unterkünften zu suchen. Auch die Schließung von Einrichtungen aufgrund dessen, dass weniger Menschen in Deutschland ankommen um Schutz vor Krieg und Verfolgung zu finden, spielt eine Rolle, ebenso wie die Tatsache, dass inzwischen viele Geflüchtete anerkannt und inzwischen in Wohnungen gezogen sind.

Aber auch 18 Angriffe auf Wohnungen bzw. im Wohnumfeld wurden 2017 verübt, darunter zwei weitere Brandstiftung. 14 dieser Angriffe waren rassistisch motiviert.

02.01.2017: Chemnitz (Stadt Chemnitz)

Brandstiftung

Drei Autos, welche auf dem Grundstück eines alternativen Wohnprojektes geparkt waren, wurden vermutlich durch eine Brandstiftung stark beschädigt. Der Schaden beläuft sich auf mehrere tausend Euro. Die Bewohner_innen vermuten eine Verbindung zur rechten Szene in Chemnitz.

03.03.2017: Leipzig (Stadt Leipzig)

Kinderwagen angezündet

Unbekannte zünden im Hausflur den Kinderwagen einer lybischen Familie an. Zusätzlich werfen Sie Flyer mit der Aufschrift „Refugees not Welcome“ in den Briefkasten der Familie.

Beratung von Betroffenen rechtsmotivierte und rassistischer Angriffe 2016

2017 unterstützten, begleiteten und berieten die Beratungsstellen des RAA Sachsen e.V. in insgesamt 258 Beratungsfällen. In diesen 258 Beratungsfällen wurden 383 Betroffene und 40 Andere Personen (Angehörige, Freund_innen, Zeug_innen …), also insgesamt 423 Menschen beraten².

Die 258 Beratungsfälle basieren auf 185 Angriffen. In 73 Fällen lag kein Angriff im Sinne unserer Gewaltdefinition zugrunde, sondern es gab einen anderen Beratungsanlass, z.B. Bedrohungen unterhalb der Gewalttat, Beleidigung, Diskriminierung oder rechtliche Fragen.

Die 185 Angriffe, die den Beratungsfällen zugrunde liegen, stammen nicht alle aus dem Jahr 2017. Es können ebenso Angriffe aus vergangenen Jahren sein, deren Betroffene jedoch noch immer von den Beratungsstellen unterstützt werden. Ein Beratungsfall kann sich je nach polizeilicher Aufklärung, juristischer Strafverfolgung oder notwendiger psychosozialer Beratung über mehrere Jahre erstrecken. Entscheidend für das Einfließen in die hier vorliegende Beratungsstatistik ist mindestens eine im Jahr 2017 erfolgte Beratungstätigkeit.

So fanden 78 der 185 Angriffe, die Anlass von Beratungsfällen sind, im Jahr 2017 statt. Das heißt auch, dass in 37% der im Jahr 2017 gezählten Angriffe (210) Betroffene Beratung des RAA Sachsen e.V. in Anspruch nahmen.

Die 383 Betroffenen, die im Jahr 2017 durch die Opferberatungsstellen begleitet und unterstützt wurden, sind zum Großteil aus rassistischen Motiven angegriffen worden (202). Zum überwiegenden Teil waren sie betroffen von Körperverletzungen (138).

Die insgesamt 423 Beratungsnehmenden waren zu 62 % männlich und zu 69 % zwischen 18 und 40 Jahren alt. Auch 12 Kinder und 30 Jugendliche wurden beraten.

Zu den Beratungstätigkeiten der Opferberatungsstellen gehören vor allem Beratungsgespräche, Unterstützung bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht, die direkte Begleitung zur Polizei oder zu Gerichtsverfahren. Außerdem vermitteln und begleiten die Berater*innen zu Rechtsanwält*innen oder auch Ärzt*innen und Psycholog*innen. In vielen Fällen ist die Organisation von Dolmetschern notwendig.

Im Jahr 2017 waren die Begleitung von Betroffenen zu Gerichtsverhandlungen sowie die Unterstützung im Vor- und Nachhinein beim Gericht (z.B. Klärung von Dolmetscher oder Zeugenwarteraum, Antragstellungen) häufige Unterstützungsleistungen, insbesondere aufgrund zahlreicher Zeugenbegleitungen in den umfangreichen Gerichtsverhandlungen gegen die „Gruppe Freital“ und die „Freie Kameradschaft Dresden“. Insgesamt 52 Mal begleiteten die Mitarbeiter*innen der Beratungsstellen Beratungsnehmende zu Gericht. 57 Mal wurde anderweitig in Bezug auf eine Gerichtsverhandlung unterstützt.

Fußnoten:

¹ Die statistische Erhebung für die Stadt Leipzig erfolgt gemeinsam mit dem RAA Sachsen e.V.

² In der Beratungsstatistik des RAA Sachsen e.V. werden Fälle, die durch den RAA Leipzig e.V. beraten werden, nicht berücksichtigt. In der Stadt Leipzig bieten sowohl der RAA Sachsen e.V. als auch der RAA Leipzig e.V. Beratung für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt an

Support für Betroffene rechter Gewalt (RAA Sachsen)

Support - die Beratung für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt des RAA Sachsen e.V. berät und unterstützt sowohl Betroffene als auch Angehörige, Freunde und Freundinnen der Betroffenen und Zeug_innen eines Angriffs. Du findest unsere Arbeit wichtig? Unterstütze uns jetzt mit einer Spende!

Mastodon