TolSax Update | November 2024

Im Editorial des November-Newsletters stellt Jörg Buschmann von der RAA Sachsen das neue Dokumentationszentrum zur Aufarbeitung und Erinnerung an den NSU-Komplex vor, welches voraussichtlich im Mai 2025 in Chemnitz eröffnet wird. Entstehen soll ein Zentrum, das die Vermittlung von Wissen zum NSU-Komplex in den Mittelpunkt stellt. Wie immer findet Ihr im Newsletter Termine, Fördertipps und weitere Anregungen für Euer Engagement in Sachsen!


Editorial von Jörg Buschmann | RAA Sachsen e.V.

Liebe Mitglieder, liebe Engagierte,

vor über 18 Jahren, im Mai und Juni 2006, demonstrierten hunderte Menschen erst in Kassel und dann in Dortmund: Die Botschaft auf ihren Transparenten lautete „Kein 10. Opfer“, gezeigt wurden Fotos von neun Menschen. Es waren die Angehörigen und Freund_innen von Halit Yozgat, Mehmet Kubaşık und Enver Şimşek, die diese Demonstrationen organisierten: Auf den Fotos waren die bis dahin neun Opfer der Česká-Mordserie zu sehen – Kleinunternehmer mit internationalem Background, die sonst aber wenig miteinander verband. Großen Widerhall in der Gesellschaft, selbst im aktiven, zivilgesellschaftlichen Teil, finden die Demonstrationen von Kassel und Dortmund nicht – die dringend nötige umfangreiche Solidarisierung bleibt aus. Die Rechtsterroristen agieren unterdessen unentdeckt weiter, im Jahr 2007 töten mindestens zwei Täter die Polizistin Michèle Kiesewetter.

Im November 2012 versammelten sich ein paar hundert Menschen in Zwickau zu einer Gedenkdemonstration. Ein Jahr zuvor scheiterte ein Banküberfall in Eisenach, die zwei Täter töten sich selbst. In Zwickau zündete die zurückgebliebene Komplizin eine Wohnung in der Frühlingstraße an – nur durch Glück kam niemand ernsthaft zu Schaden. Anschließend verteilte sie CDs in ganz Deutschland, darauf enttarnte sich der „Nationalsozialistische Untergrund“ selbst: Ein „Netzwerk von Kameraden“, so die Selbstdarstellung, bekannte sich zur Česká-Mordserie und zwei Bombenanschlägen in Köln. Zusammen mit der im Zwickauer Brandschutt entdeckten Česká-Pistole bestätigte das Video, was Angehörige der Opfer früh vermuteten, Ermittlungsbehörden und Mehrheitsgesellschaft jedoch jahrelang nicht ernst nahmen: Die Taten wurden von Neonazis verübt. Sie waren dabei jahrelang unentdeckt geblieben und richteten sich mit ihrem Unterstützungsnetzwerk unbehelligt erst in Chemnitz und dann in Zwickau in der Nachbarschaft ein.

Seitdem haben sich in Zwickau, Chemnitz, Sachsen und Deutschland immer wieder Menschen auf den Weg gemacht, Räume zu schaffen, in denen die Opfer und die offenen Fragen im Fokus stehen. Entstanden sind dabei fortlaufend temporäre Orte der Aufarbeitung: Informationsveranstaltungen, Stadtrundgänge, künstlerische Interventionen, Demonstrationen, Tribunale, Untersuchungsausschüsse, Gedenkbänke, Podcasts, Theaterstücke, Webseiten, Podien, Podcast, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Interviews, Bildbände, Gedenkorte, Ausstellungen. In der Chemnitzer Innenstadt entsteht nun ein weiterer, und mit etwas Glück dauerhafter, Ort für Erinnerung und Aufarbeitung: Ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex. Das klingt auch in unseren Ohren noch ein wenig unwahrscheinlich. Es ist jedoch Ergebnis der zuvor genannten vielfältigen Anstrengungen und dem, bisweilen auch hartnäckigen, Engagement zahlreicher Menschen an ganz unterschiedlichen Orten.

An der Umsetzung des Projekts, das derzeit anteilig von Bund und Land finanziert wird, arbeiten drei Vereine in enger Kooperation: der ASA-FF aus Chemnitz, die Initiative Offene Gesellschaft aus Berlin und die RAA Sachsen. Entstehen wird ein Zentrum, das die Vermittlung von Wissen zum NSU-Komplex in den Mittelpunkt stellt. Ausgangspunkt ist die Ausstellung Offener Prozess, die in enger Abstimmung mit den Angehörigen der Opfer des NSU überarbeitet wird und der interessierten Öffentlichkeit dann dauerhaft zur Verfügung steht. Drumherum gruppieren sich Vermittlungs- und Bildungsangebote, die sich beispielsweise an Schulklassen, aber auch Mitarbeiter_innen von Verwaltung und Behörden richten. In der Assembly entstehen Vernetzungs- und Handlungsräume insbesondere für diejenigen, die vom NSU-Komplex betroffen waren, aber auch für Menschen aus Sachsen, die (potenziell) Ziel rechtsmotivierter Gewalt werden. In den Arbeitsbereichen Archiv und Forschung werden die Wissensbestände dokumentiert und erweitert, dazu werden u.a. Stipendien vergeben und im Herbst 2025 ein Symposium durchgeführt. Die Eröffnung des Zentrums ist für Mai 2025 geplant. Wir würden uns sehr freuen, viele Engagierte und Interessierte in Chemnitz begrüßen zu können. Viel Spaß bei der Lektüre des November-Newsletters wünscht

Jörg Buschmann | dokuzentrum@raa-sachsen.de

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Auf unserer Website unter Koordination erfahrt Ihr, welche Mitarbeiter_in aus der TolSax-Koordination  für welche Eurer Fragen die richtige Ansprechperson ist.

Anmerkung: Die Einleitung spiegelt nicht die Meinung des Netzwerkes oder des Sprecher_innenrates wieder, sondern einzig der Verfasser_innen.

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