Boykott Conne Island? – Warum sich die Veranstaltungsabsagen häufen
Autor_innen: Conne Island
Wir wenden uns mit diesem Text an euch, um unsere Situation als Veranstaltungsort – vertreten durch das offene Montagsplenum, das im Konsensprinzip über die Belange des Conne Islands entscheidet – zu schildern. Anlass dafür sind die zahlreichen Veranstaltungs- und Künstler:innenabsagen, die uns seit dem 07. Oktober 2023 erreichen. Diese Absagen können auf verschiedene gegen uns gerichtete Boykottaufrufe und -kampagnen zurückgeführt werden. Die Narrative, die uns dabei entgegengehalten werden, behaupten, dass wir rassistische Ansichten vertreten würden, dass wir keine Palästinenser:innen auf unserer Bühne oder unserem Gelände dulden würden, dass wir AfD-nahen Personen eine Bühne bieten würden und dass wir aktiv für die israelischen Streitkräfte (IDF) rekrutieren würden. Worauf sich diese Narrative (vermeintlich) beziehen, darauf möchten wir in diesem Text an späterer Stelle noch einmal genauer eingehen.
Das Conne Island hat nur ein Statement kurz nach dem 7. Oktober veröffentlicht, das auf Grundlage bestehender Beschlüsse im Conne Island verfasst wurde. https://conne-island.de/news/279.html
Grundsätzlich sind das Conne Island und Antisemitismuskritik seit über 30 Jahren miteinander verwoben. Daraus resultierte auch unser seit langem bestehender Minimalkonsens, dass das Existenzrecht Israels als einzigen jüdischen Staat nicht diskutabel ist. Das bedeutet nicht, dass wir die aktuelle Politik der Netanyahu-Regierung oder die Kriegshandlungen in Israel, Gaza und der Westbank gutheißen. Zu diesen Themen gibt es auch im Conne Island verschiedene Positionen, weshalb wir mit diesem Text auch keine geopolitische Einschätzung davon vornehmen können und wollen. Gleichzeitig wollen wir aber ein Raum sein, in dem diese Themen verhandelt/diskutiert werden können, um uns mit unterschiedlichen Positionen auseinandersetzen zu können.
Seit dem 7. Oktober haben mehr als 13 Acts ihre Auftritte im Conne Island abgesagt:
– 22.10.2023 High Vis
– 24.11.2023 Lust for Youth
– 30.11.2023 Rotten Mind
– 14.12.2023 Slow Pulp
– 15.03.2024 Life Force
– 29.05.2024 Pkew Pkew Pkew
– 31.05.2024 Lovefoxy
– 01.06.2024 Elias Mazian
– 22.06.2024 Byron Yeates
– 26.06.2024 Truth Cult
– 05.08.2024 Coffin
– 05.10.2024 TR/ST
– 06.10.2024 Jen Razavi
– 23.11.2024 The Chats
Bei den hier genannten handelt es sich nur um die Veranstaltungen und Mainacts, die explizit aus den genannten Gründen abgesagt haben. Hinzu kommen Veranstaltungen, die einem sog. „silent boycott“ (Absage oder Verlegung aus vermeintlichen anderen Gründen, ausbleibende Anfragen ans Conne Island, keine Antworten von Künstler:innen und Agenturen) zum Opfer fallen. Hier können wir nur vermuten, wieviele Shows deshalb nicht bei uns stattfinden konnten. Ebenso können wir nur schätzen, wieviele Besucher:innen, Arbeitsaufträge und schlicht Umsatz damit verloren gingen. Aber wir können eines sagen: es macht sich bemerkbar und bringt das Conne Island nicht nur in finanzielle Schwierigkeiten.
Oft sagen Acts oder Agenturen schnell ab, ohne dass wir die Chance auf eine Kommunikation haben. Der Trend geht zum einen zur kommentarlosen Absage und gleichzeitig wird ein Klima erzeugt, dass alle Beteiligten einen gefestigten Standpunkt zu sehr komplexen Vorgängen haben müssen. Der wertvolle Weg der Diskursführung hin zur Positionsfindung wird dabei übergangen und komplexe Zusammenhänge werden so vereinfacht dargestellt, sodass sie in die eigene (autoritäre) Argumentationsstruktur passen. Wir sind der Meinung, dass gerade dieses Verhalten wenig den Leuten hilft, die unter jeglicher Form von Unterdrückung leiden, sondern vor allem der Selbstinszenierung von (Internet-) Aktivist:innen dient. Das Vorgehen des Boykotts bleibt dabei stets dasselbe: sobald ein Act in unseren Lineups auftaucht wird dieser (meist über Social Media) kontaktiert und über die schon genannten Narrative „in Kenntnis gesetzt“. Die Nachrichten, die dabei kursieren werden meist einfach per copy+paste weiterverbreitet und enthalten neben diversen Falschaussagen auch scheinbare Quellenverweise, die allerdings meist auf die ursprünglichen Boykottseiten verweisen, die die gleichen Unwahrheiten widerspiegeln. Begleitet wird dies von mehr oder weniger subtilen Einschüchterungen und Drohungen, dass die Acts mit Absagen an anderen Orten zu rechnen haben, sollten sie sich doch entscheiden im Conne Island zu spielen. So berichtete uns eine Künstlerin von massiven Bedrohungen nach der Ankündigung ihrer Show bei uns. Einer anderen Künstlerin hingegen wurden nach dem Auftritt im Conne Island weitere Shows ihrer Tour abgesagt und sie kurzerhand vom Line Up gestrichen.
Als Beleg für die Narrative werden vor allem vier Dinge herangezogen, auf die wir etwas genauer eingehen wollen:
1. „recruting for IDF“
Bei besagtem Text handelt es sich um einen Meinungsbeitrag, der von einer Privatperson in unserem Newsflyer CEEIEH im März 2015 (also vor über neun Jahren!) veröffentlicht wurde. Darin beschreibt die Person ihren Aufenthalt in Israel bei dem Freiwilligendienst Sar-El. Dieser Text wird von Boykottunterstützer:innen als Rekrutierungsversuch vonseiten des Conne Islands umgedeutet. Dem ist entgegenzuhalten, dass das CEEIEH zwar ein Medium des Conne Islands ist, aber nicht die Meinung des Conne Islands oder des Plenums repräsentiert. Vielmehr sollen hier auch Diskussionsbeiträge Platz finden. So auch in diesem Fall, bei dem in der Folgeausgabe eine Kritik an dem genannten Text veröffentlicht wurde (https://conne-island.de/nf/222/20.html).
2. „racist towards Palestinians“
Dem Conne Island wird von Boykottunterstützer:innen unterstellt sich gegenüber Palästinenser:innen rassistisch zu verhalten, ihnen den Zutritt zu verweigern bzw. „pro-palästinensische“ Acts zu canceln. Diese Behauptungen beziehen sich oft auf das „Kufiyah-Verbot“ (s. Punkt 3) oder sind schlichtweg erfunden. Wir verweigern niemandem aufgrund von Herkunft, Religion oder ethnischer Zuschreibungen den Zugang. Bei uns treten auch Künstler:innen auf, die selbst Palästinenser:innen sind oder sich mit ihnen solidarisch verstehen.
3. Das Kufiyah-Verbot
Die Tatsachen, dass das Tragen der Kufiyah (auch „Palituch“ genannt) auf unserem Gelände nicht erwünscht ist, sorgte schon in der Vergangenheit dafür, dass uns antimuslimischer, antiarabischer oder antipalästinensicher Rassismus unterstellt wurde. Das sogenannte Palituch ist unserer Ansicht nach im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts mit Ausgrenzung, Gewalt und Diskriminierung verbunden, weshalb es im Conne Island seit vielen Jahren nicht gestattet ist dieses zu tragen. Eine exemplarische Einordnung solcher Vorwürfe und unserer policy in deutscher und englischer Sprache findet man unter: https://www.instagram.com/p/C9PQAKKsAaK/
4. Nähe zur AfD
Zu guter Letzt werden dem Conne Island immer wieder Sympathien für die Partei AfD unterstellt. Diese werden notdürftig mit einem Vortrag von Thomas Maul am 28.05.2018 begründet. Zwei Wochen vor der Veranstaltung bezog sich der Referent positiv auf eine Aussage eines AfD-Abgeordneten. Dies wurde auch im Conne Island sehr kritisch aufgenommen, die Veranstaltung wurde trotz interner Uneinigkeit durchgeführt. Die Hintergründe dazu lassen sich hier nachlesen: https://conne-island.de/nf/251/4.html. Interne Kritik wurde z.B. im CEEIEH formuliert: https://conne-island.de/nf/250/3.html. Das Conne Island versteht sich seit seiner Gründung als linkes und antifaschistisches Kulturzentrum und versucht seit seinem Bestehen einen Gegenpol zum grassierenden Rassismus, Nationalismus und rechten Strukturen (insbesondere in Ostdeutschland) zu bilden. Dass eine kontroverse Veranstaltung, die vor mehr als sechs Jahren bei uns stattfand, diese ganzen Bestrebungen nun negieren soll, lässt uns ratlos zurück.
Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Das Conne Island hat eine klar antifaschistische, antirassistische und antisexistische Ausrichtung und wir engagieren uns seit nunmehr drei Jahrzehnten in diesen Bereichen. Mit Blick auf die Landtagswahl im September ist zu befürchten, dass die AfD stärkste Kraft wird. Dies würde bedeuten, dass unserer Arbeit von rechten und konservativen Kräften weitere Steine in den Weg gelegt werden. Wir grenzen uns also klar von rechten Parteien und Strömungen ab.
Boykottkampagnen und -aufrufe gegen das Conne Island haben das Ziel uns als Veranstaltungsort mit politischem Anspruch den größtmöglichen Schaden zuzufügen. Wo wir von den Akteuren des Boykotts als politischer Gegner ausgemacht werden, geht es nicht mehr um die argumentative Auseinandersetzung. Es geht um unsere kulturelle und materielle Existenz. Und leider müssen wir und andere Veranstaltungsorte in Deutschland feststellen, dass diese Bestrebungen zu oft erfolgreich sind. Darin sehen wir auch die Künstler:innen und Agenturen als leidtragend an, da sie in den Einschüchterungen des Boykotts auch ihre Existenzgrundlage bedroht sehen müssen. Wir wünschen uns eine Veränderung des aktuellen Diskurses hin zu mehr Dialog, Selbstreflexion und gegenseitigem Respekt.
Welche Künstler:innen von uns eingeladen werden, entscheiden wir basisdemokratisch unter Berücksichtigung der oben genannten politischen Standards. Wir bieten den Künstler:innen und Agenturen den Dialog an, auch wenn er mühsam, nervenaufreibend und langwierig sein kann. Solche konstruktiven Gespräche mit Künstler:innen wurden bereits geführt und beide Parteien waren danach froh an der Veranstaltung festgehalten zu haben. Aus dieser Erfahrung wissen wir, dass im Dialog zwar Differenzen bleiben, man aber trotzdem eine gemeinsame Basis finden kann.
Weiterführende Infos zu BDS: https://conne-island.de/news/215.html