Zukunft der freien Radios in Sachsen komplett ungewiss
Autor_innen: Radio Blau
Die Meinungsvielfalt in Sachsen ist massiv bedroht. Trotz gestiegener Aktivitäten und stetig wachsenden Kooperations- und Mitmach-Anfragen aus der Zivilgesellschaft, ist im Moment komplett unklar, ob und wie viele Mittel für Koordinationsstellen die freien Radios in den kommenden Jahren erhalten können. Bereits ab Oktober 2023 sind diese bei Radio Blau und ColoRadio nicht mehr finanziert, Anträge für 2024 werden gerade gestellt. Die Fördermittel sollen nach aktuellem Stand aber auf zukünftig immer mehr, auch zu großen Konzernen gehörende Radiosender aufgeteilt werden, unabhängig davon, welchen inhaltlichen Beitrag sie tatsächlich für Medienvielfalt und Medienkompetenz in Sachsen leisten.
Die Sächsische Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (SLM) erhält einen Anteil aus GEZ-Gebühren, um damit unter anderem die Meinungsvielfalt in Sachsen zu sichern. Im Jahr 2023 gehen weniger als 3% dieser Summe an freie Radios in Sachsen. Im Frühjahr ermöglichte die SLM einem privaten Radiosender mit engen personellen und finanzellen Verflechtungen zur großen „Sachsen Fernsehen“-Gruppe die Umlizensierung in ein „nicht-kommerzielles Lokalradio“ (NKL) und damit Fördergelder aus den für NKL vorgesehenen Mitteln für lokaljournalistische Projekte. Außerdem wurden diesem an einen großen kommerziellen Konzern angegliederten Sender mit Musikrotation Gelder aus der jährlich vergebenen „Förderrichtlinie NKL“ in Aussicht gestellt oder schon bewilligt. Nach den Gesprächen der vergangenen Wochen haben wir den Eindruck, dass eine Mehrheit im Medienrat und der Verwaltung der SLM nicht gewillt ist, die eingehenden Anträge auf Umlizensierungen oder Fördermittel genauer nach inhaltlichen Kriterien hinsichtlich Medienvielfalt und partizipativen demokratischen Strukturen zu prüfen, obwohl gerade die „Förderrichtlinie NKL“ dies nach unserer Auffassung ermöglichen würde.
Stattdessen verweist die SLM auf lasche gesetzliche Vorgaben. Von Seiten der CDU in der sächsischen Regierungskoalition scheint es nach unserem Eindruck aber eine kategorische Blockade zu geben, Förderzwecke, Begrifflichkeiten und Förderaufgaben hinsichtlich nicht-kommerziellen Rundfunks im Gesetz zu präzisieren. Weitere private Sender wollen „nicht-kommerziell“ werden, um sich staatlich fördern zu lassen. Gleichzeitig werden keine weiteren Mittel für Strukturkosten in Aussicht gestellt. Stattdessen wird versucht, die (bisher einmaligen) steuerfinanzieren Lokaljournalismus-Projekt-Mittel als Ersatz für die Strukturfördung umzudeuten, auch wenn dies so nicht vom Landtag vorgesehen war. Dass jedes neue Projekt, aber auch jede Aktion zur Spendenakquise oder Fundraising auch strukturell mehr Arbeit für einen Verein bedeutet, und die tägliche Koordination des Programmablaufs, der Technik, der Ausbildung der Ehrenamtlichen und der Öffentlichkeitsarbeit weiter sichergestellt werden muss – dafür scheint bei einer Mehrheit der Verwaltungsmitarbeiter und Medienrät*innen bisher leider das Verständnis zu fehlen.
Wenn die Mittel für Koordinationsstellen der freien Radios wie jetzt gestrichen oder mittelfristig immer weiter gekürzt werden, wird auch das einzigartig vielfältige Programm der freien Radios immer weniger werden. Neue Interessent*innen können nicht mehr ins Radio-Handwerk und in journalistische Grundregeln eingeführt werden, die Sendetechnik nicht repariert, der Sendeablauf nicht organisiert, die Hörer*innen nicht über das Programm informiert und keine zusätzlichen Gelder oder Projekte akquiriert werden. Damit wird der Beitrag, den die freien Radios zur Zeit in fast allen Regionen Sachsens zur Meinungsvielfalt und Medienkompetenz leisten, massiv beschnitten. Das wiederum öffnet das Tor für selbsternannte „Community Medien“ mit rechtsradikalen Zielen, die ohne behördliche Aufsicht und grundsätzliche journalistische Regeln Fake News, Hetze und menschenverachtende Ideologien verbreiten und dabei queere Menschen, Migrant*innen, BiPoCs oder Behinderte von der Partizipation ausschließen.
Mehr Informationen inklusive ein Interview mit dem jetzt „nicht-kommerziellen“, vormals kommerziellen Sender „Radio WSW“ könnt Ihr unter hier hören.