Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Integrationsbeiratsverordnung – erst feierten wir, dann kamen die Fragen
Autor_innen: Runder Tisch Migration im Landkreis Leipzig
– Ein offener Brief an die Mitglieder des Integrationsbeirats –
Werter Landrat Graichen, werte 2. Beigeordnete Lüpfert, werte
Mitglieder des Kreistages, liebe Mitglieder des Integrationsbeirats,
die Fragen die sich uns, dem Runden Tisch Migration im Landkreis Leipzig, nach dem Urteil stellten, wollen wir mit diesem offenen Brief weitertragen. Denn wir haben Visionen und Wünsche wie die Antworten ausfallen könnten, aber eben leider nicht das letzte Wort.
Aber worum geht es eigentlich?
Was es für uns zu feiern gab, das war eine Entscheidung vom Bundesverwaltungsgericht Leipzig am 29. November 2022: Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass Menschen ohne gesicherten Aufenthalt nicht per Verordnung von der Mitwirkung am Integrationsbeirat Landkreis Leipzig ausgeschlossen werden dürfen.
Hintergrund war die diskriminierende Satzung des Integrationsbeirates des Landkreises Leipzig. Diese wurde im Herbst 2018 auf Antrag der Verwaltung mit einer Kreistagsmehrheit so angepasst, dass Menschen ohne gesichertes Aufenthaltsrecht nicht mehr in den Beirat gewählt werden durften. Das wurde damit begründet, dass nur Personen, die über die deutsche Staatsangehörigkeit oder ein gesichertes Aufenthaltsrecht verfügen, nämlich eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis oder eine unionsrechtliche Freizügigkeit, kontinuierlich mitwirken können. Dabei sollte der Integrationsbeirat des Landkreises Leipzig die Integration aller dort lebenden Menschen mit Migrationshintergrund aktiv fördern und den Kreistag diesbezüglich beraten.
Wenn jedoch ausgerechnet eine Gruppe von Menschen von der Mitwirkung ausgeschlossen wird, die oft jahrelang in Deutschland lebt und deren Integration ebenso wichtig ist, dann sind auch die in den Integrationsbeirat einfließenden Perspektiven beschränkt und weniger vielfältig.
Doch die Revision hatte Erfolg! Und das ist für uns ein Grund zum Feiern.
Das höchste Gericht in Deutschland gab einer von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützten Klage zweier Geduldeter aus dem Landkreis Leipzig statt und urteilte, dass die Beschränkung der Wählbarkeit zum Integrationsbeirat das Grundrecht auf Gleichbehandlung verletzt und deshalb unwirksam ist.
Aber wie geht es nun weiter?
Was sind die Konsequenzen dieses Urteils für den 2015 gegründeten Integrationsbeirat des Landkreises Leipzig und dessen Verordnung und Zusammensetzung?
First Things First: Wir sehen die Notwenigkeit, dass sich sowohl die Kreisverwaltung als auch der Kreistag bei den – durch die Verordnungsänderung ausgeschlossenen Mitgliedern – entsprechend entschuldigen.
Naheliegend wäre es – im Anschluss – die aktuelle Verordnung gemäß dem Beschluss umzuschreiben oder die alte Verordnung von vor 2018 wieder in Kraft treten zu lassen. Aber ist dies geplant?
Wir sind darüber im Bilde, dass bereits ähnliche Fragen an das Landratsamt durch einen Kreisrat adressiert wurden. Auf diese Fragen wurde inhaltlich nicht eingegangen, da laut dem Landratsamt erst eine schriftliche Begründung des Urteils vom Bundesverwaltungsgericht vorliegen müsse, um entsprechend dem Urteil handeln zu können.
Wir fragen uns, was folgt – und wann es folgt, wenn die bürokratischen Formalitäten abgearbeitet werden sollten, die die Hürden des aktiven Handelns darstellen? Wird es Neuwahlen geben, um gleiche Zugangsvoraussetzungen für alle im Landkreis lebenden Migrant:innen zu schaffen? Soll nun auch wieder geduldeten Personen eine Chance zur politischen Interessenvertretung gegeben werden?
Bestenfalls gibt es nach Verordnung und Neuwahlen dann wieder drei Vertreter:innen mit Migrationshintergrund im Integrationsbeirat, die verschiedene marginalisierte Betroffenenperspektiven einbringen, da es ganz gleich ist, welchen Aufenthaltsstatus diese haben. Und auch bei diesem Ziel sollte nicht aufgehört werden! Wäre es im Anschluss an eine neue Besetzung des Integrationsbeirates nicht anzustreben, alle migrationspolitischen Themen des Kreistags vorher im Beirat zu besprechen? Auch und vor Allem in Anbetracht der reichhaltigen Betrachtungswinkel, die dadurch in diese Beschlüsse einfließen könnten?
Unsere Forderungen an die Landkreisverwaltung und den Kreistag lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- eine öffentliche Entschuldigung seitens der Kreisverwaltung und des Kreistages bei den, von der Verordnung ausgeschlossenen, Mitgliedern
- Neuwahlen zur Besetzung des Integrationsbeirates um auch geduldeten Einwohner:innen die Möglichkeit zu geben, (neu) gewählt zu werden,
- alle migrationspolitischen Themen des Kreistages sind im Vorfeld im Integrationsbeirat zu besprechen, sodass entsprechende Empfehlungen abgegeben und Einschätzungen vorgenommen werden können.
Wir sehen Antworten und Reaktionen freudig entgegen und verbleiben bis dahin mit besten Grüszen!