Kampf gegen Rassismus kann nur mit uns, nie über uns statt finden!
Autor_innen: Romano Sumnal e.V. – Verband der Roma und Sinti in Sachsen
Offener Brief an die Staatsministerin zur Entscheidung der Förderung eines Netzwerks gegen Antiziganismus
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Köpping,
mit Erstaunen haben wir die Entscheidung zur Förderung eines landesweiten Fachnetzwerks Antiziganismus durch die Richtlinie Weltoffenes Sachsen am Freitag wahrgenommen. Wie wir den öffentlichen Informationen entnehmen konnten, erhielt das in Kooperation mit uns – dem Verband der Roma und Sinti Sachsens – entwickelte Projekt keine Förderung.
Stattdessen unterstützt Ihr Ministerium die Stiftung Soziale Dienste in Werdau – Stiftung des Familienunternehmens European Homecare, ein Unternehmen im Bereich sozialer Dienstleistungen.
Uns ist leider absolut unverständlich, wie ein Träger ausgewählt werden konnte, der keinerlei Fachkenntnisse, Erfahrungen und Kontakte auf dem Gebiet der Antidiskriminierungsarbeit, der Antiziganismusprävention oder im Themenbereich Sinti und Roma besitzt.
Unser Verband wurde von Soziale Dienste im Juni 2022 kontaktiert, uns wurde die Projektidee vorgestellt. Leider mussten wir jedoch schnell bemerken, dass dem Träger selbst die geringsten Grundkenntnisse zu Sinti und Roma fehlten. Es war den Verantwortlichen noch nicht einmal klar, ob sie vor Ort in Werdau und Crimmitschau mit Roma oder Sinti zusammenarbeiten, geschweige denn kannten sie den Unterschied.
Auch der Ansatz des Trägers, welcher uns beschrieben wurde, zeugte davon, dass sie weder Kenntnis über die bisherige Arbeit im Bereich Antiziganismus in Sachsen hatten, noch über die bundesweite Arbeit in diesem Bereich. Es bestehen weder Kontakte zu unserem Dachverband dem Zentralrat der Sinti und Roma, noch zum Antiziganismusbeauftragten des Bundes oder zur Melde- und Informationsstelle Antiziganismus des Bundes oder anderen wichtigen Institutionen und Akteuren auf diesem Gebiet. Aus unserer Sicht als Betroffene von Antiziganismus ist dies jedoch elementar wichtig, um überhaupt effektiv auf diesem Gebiet wirken zu können.
Uns wurde bei der Präsentation des Projektes damals erklärt, es ginge darum uns als Minderheit „auch“ einen Weg zur Partizipation zu ermöglichen. Unsere reale Partizipation war dem Träger absolut unbekannt, der Träger lies den Anschein erwecken, als müsse unsere (schon bestehende Partizipation) erst durch ihn entstehen.
Unser beantragtes Netzwerk arbeitet mit Respekt, bietet Bildung und Kulturproduktionen und macht Roma und Sinti nicht zu Objekten von Sozialen Diensten. Wir sind keine Sozialfälle. Antiziganismus verhindert man nicht durch Sozial- und Integrationsarbeit
Als Selbstvertretung wehren wir uns zutiefst gegen einen solchen paternalistischen Ansatz. Als Roma und Sinti haben wir uns bereits seit den 1970er Jahren in eigenen Verbänden, Vereinen und Bürgerinitiativen organisiert, wir sind selbstständig und emanzipiert und wer uns unterstützen will, muss mit uns arbeiten und nicht über uns.
Aus diesen Gründen konnten und können wir das Projekt der Stiftung Soziale Dienste nicht unterstützen und auch nicht gut heißen.
Wir sehen in einem Fachnetzwerk Antiziganismus vor allem die Notwendigkeit der Expertise und die der Zusammenarbeit mit uns auf Augenhöhe.
Soziale Dienste gab uns gegenüber an, folgendes in ihrem Fachnetzwerk leisten zu wollen: „landesweite Vernetzung aller am Prozess beteiligten Akteure, um deren Arbeit zu stärken und zu professionalisieren, in dem bekannte und im Netzwerk neu entwickelte Angebote über den eigenen Landkreis hinweg umgesetzt werden können.“
Dies geschah bereits in den letzten Jahren im – durch die Richtlinie Demokratie Leben und später durch die Richtlinie Weltoffenes Sachsen – geförderten Projekt RomaRespekt. Gleiches nun noch einmal zu wiederholen, bringt den Kampf gegen Antiziganismus nicht voran, im Gegenteil, es lässt bereits Erreichtes wieder zurück fallen.
Wir, Romano Sumnal Verband der Roma und Sinti in Sachsen, arbeiten mit Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen seit 2016 gemeinsam in einem bestehenden Netzwerk im Bereich der politischen Bildung gegen Antiziganismus. Wir haben in den letzten sechs Jahre gemeinsame Veranstaltungen, Workshops, Seminare, Publikationen und vieles mehr ins Leben gerufen und damit die Arbeit gegen Antiziganismus in Sachsen erfolgreich thematisiert und eingebracht.
Vor diesem Hintergrund ist es uns als sächsische Roma und Sinti wichtig, dass diese Arbeit weiter fortgesetzt wird und darauf aufgebaut wird, weshalb wir uns zur einer Kooperation für den Antrag auf ein gemeinsames Fachnetzwerk entschieden haben.
Unsere Arbeit abzulehnen und stattdessen ein paternalistisches Vorhaben einer Stiftung von European Homecare, einem Unternehmen welches gewinnorientiert im sozialen Bereich tätig ist und keinen politischen Bildungsansatz nachweisen kann, zu fördern, ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht von selbstorganisierter Arbeit aller Roma und Sinti in Sachsen, es unterstützt auch weiteres anwachsen von Unterdrückung und Diskriminierung.
Wir als Verband der Roma und Sinti in Sachsen distanzieren uns daher von diesem Projekt – Arbeit gegen Antiziganismus und Vernetzung auf diesem Gebiet kann nur mit uns stattfinden, niemals über uns!
Mit freundlichen Grüßen,
Gjulner Sejdi
Romano Sumnal
Verband der
Roma und Sinti in Sachsen
1.Vorsitzender Gjulner Sejdi