Demokratieschutz und Handeln gegen Rechtsextremismus gehören in den Koalitionsvertrag!

Autor_innen: Amadeu Antonio Stiftung u.v.m.

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Unsere Demokratie steht unter Druck: Hass und Ausgrenzung greifen immer mehr um sich, Verschwörungsideologien erreichen ein enormes Publikum. Grundrechte werden offen infrage gestellt, demokratische Institutionen verunglimpft. Minderheiten und demokratisch Engagierte werden bedroht und angegriffen.

Im Jahr 2020 erreichten rechte Straftaten den höchsten Stand seit 20 Jahren. 213 Menschen starben seit der Wiedervereinigung durch rechtsmotivierte Gewalt. Der Mord an einem 20-Jährigen in einer Tankstelle in Idar-Oberstein könnte der 214. sein, der Täter hat sich in einem rechtsextremen Desinformations-Milieu bewegt und leugnete die Corona-Pandemie.

Nach der Selbstenttarnung des NSU hat der Untersuchungsausschuss des Bundestags parteiübergreifend zahlreiche notwendige Empfehlungen formuliert – doch viele von ihnen sind bis heute nicht umgesetzt. Auch nach dem Mord an Walter Lübcke, den Anschlägen in Halle und Hanau wurde von politisch Verantwortlichen viel bedauert und Großes versprochen – doch passiert ist zu wenig.

Die zukünftigen Koalitionsparteien müssen hier ein klares Zeichen setzen, es darf keine weitere Zeit verschenkt werden:

Es braucht einen ressortübergreifenden Demokratiepakt, bei dem Bund, Länder, Kommunen und Zivilgesellschaft gemeinsam und auf Augenhöhe am Schutz der Demokratie arbeiten. Demokratiestärkung, Integration und die Gestaltung einer zukunftsfähigen Einwanderungsgesellschaft sind zu wichtig, um sie hier und da in kleinen Teilen zu bearbeiten. Sie gehören in die Hand eines eigenen Demokratieministeriums.

Einige Maßnahmen können und müssen sofort umgesetzt werden – und deshalb gehören sie in den Koalitionsvertrag:

I. Verfolgungsdruck auf Rechtsextreme erhöhen und Betroffene schützen

  1. Alle derzeit offenen Haftbefehle gegen rechtsextreme Straftäter:innen müssen unverzüglich vollstreckt werden. Gerade bekannte Rechtsextreme sind zu entwaffnen und strenger zu kontrollieren.
     
  2. Es braucht eine Null-Toleranz-Politik gegen Rechtsextreme in öffentlichem Dienst, Polizei und Bundeswehr. Diese müssen konsequent entlassen werden. Die Aufarbeitung rechtsextremer Vorfälle in Behörden kann nur unter Beteiligung unabhängiger Stellen glaubhaft geschehen.
     
  3. Strafverfolgung und Justiz sollten sich weg von einer staatsschutzzentrierten Prämisse der politisch motivierten Kriminalität, hin zu einer menschenrechtszentrierten Gesetzgebung der Hasskriminalität entwickeln: Strafleitend sollte die vorurteilsbezogene Opferauswahl und die Auswirkungen auf Betroffene sein und nicht die in der Realität oft ambivalente Ideologie oder die Szenezugehörigkeit von Täter:innen.
     
  4. Antifeminismus ist ein verbindendes und zentrales Einstiegselement antidemokratischer Ideologien und findet sich bis weit in die Mitte der Gesellschaft. Antifeminismus muss Teil der Erfassung der politisch motivierten Kriminalität bzw. Hasskriminalität und der Rechtsextremismus-Prävention sein.
     
  5. Betroffene von Hass im Netz brauchen zielgerichtete Hilfe durch Unterstützungsangebote und qualifizierte Beratung. Netzwerke können stärker reguliert werden. Dazu gehört, Meldeverfahren zu vereinfachen, Transparenz über Algorithmen und Targeting herzustellen, eine überprüfte Umsetzung der Community Standards sowie die Ausweitung des NetzDG auf Gaming-Communities und Messengerdienste.

II. Antisemitismus und Verschwörungsideologien zurückdrängen

  1. Antisemitismus kommt von rechts, links, aus dem Islamismus wie aus der Mitte der Gesellschaft. Jüdisches Leben braucht Schutz durch flächendeckende Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Einrichtungen und Synagogen. Gemeinden sollten nicht selbst dafür verantwortlich sein müssen, diese zu organisieren.
     
  2. Die Verfolgung antisemitischer Delikte darf nicht mehr ergebnislos eingestellt werden. Sie müssen konsequent ausermittelt werden. Um die Bekämpfung des Antisemitismus zu verbessern, wäre eine präzisere Erfassung antisemitischer Straftaten nach ihren ideologischen Motiven die Grundlage.
     
  3. Die weitere Verbreitung von Verschwörungsideologien muss stärker eingeschränkt werden: Antisemitische Verschwörungsideologien sind eine Bedrohung der Demokratie und sind entsprechend in politischer Bildung zu bearbeiten.
     
  4. Meldestellen brauchen bundesweit eine Ausfinanzierung, um das Dunkelfeld antisemitischer Vorfälle, insbesondere unter der Strafbarkeitsgrenze, unter vorrangiger Berücksichtigung der jüdischen Perspektive zu erhellen.
     
  5. Die Bildungs- und Präventionsarbeit sowie Forschung gegen Antisemitismus muss dringend unter Einbeziehung jüdischer Perspektive ausgebaut werden. Dabei muss Antisemitismus nicht nur geächtet, sondern auch in seinen Formen und Funktionen analysiert werden. Erinnerungskultur und Aufarbeitung der Shoa müssen gegen Angriffe verteidigt werden, um für eine respektvolle Zukunft der Erinnerung zu sorgen.

III. Rassismus strukturell bearbeiten

  1. Sicherheitsbehörden und Verwaltung brauchen verpflichtend unabhängige Beschwerdestellen für rassistische Diskriminierungen, die die Perspektive von Betroffenen einbeziehen.
     
  2. Die Bundesregierung muss sowohl einen unabhängigen Beauftragten gegen Rassismus als auch einen gegen Antiziganismus berufen und mit den nötigen Mitteln ausstatten. Arbeitsgrundlage sollte eine einheitliche Definition verschiedener Formen von (auch institutionellem und strukturellem) Rassismus sein.
     
  3. Das Wort “Rasse” ist aus dem Grundgesetz und weiteren Gesetzestexten zu streichen und durch weiter greifende Beschreibungen zu ersetzen. Das Grundgesetz sollte um eine Antirassismus-Klausel ergänzt werden, wie sie bspw. das Land Brandenburg nutzt, um die Bekämpfung von Rassismus zum Staatsziel zu machen.
     
  4. Das Erbe des Kolonialismus wird noch nicht konsequent aufgearbeitet. Deshalb sollten öffentliche Orte, die an Kolonialverbrecher einnern, umbenannt werden, und eine kritische Auseinandersetzung mit entsprechenden Denkmälern stattfinden. Die Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte Deutschlands und dem Kolonialrassismus ist eine Leerstelle schulischer Bildung und muss erweitert werden.
     
  5. Schutzlücken des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sind zu schließen, indem alle Formen der gruppenbezogenenen Menschenfeindlichkeit aufgenommen, sowie Racial Profiling und die Diskriminierung durch staatliche Institutionen berücksichtigt werden. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes braucht bessere finanzielle und personelle Ausstattung.

IV. Eine unabhängige Zivilgesellschaft schützen und fördern

  1. Nur ein Demokratiefördergesetz kann den rechtlichen Rahmen schaffen, um Demokratieprojekte und erprobte Ansätze langfristig und ausreichend zu finanzieren. Seine Ausgestaltung muss transparent unter Einbezug zentraler Akteure diskutiert werden und die Rolle einer kritischen und unabhängigen Zivilgesellschaft selbstbewusst beschreiben.
     
  2. Es muss Rechtssicherheit zur Gemeinnützigkeit geschaffen werden für Vereine und Initiativen, die sich politisch für ihre Satzungszwecke einsetzen. Darüber hinaus braucht es eine Erweiterung der möglichen gemeinnützigen Zwecke, etwa um Demokratieförderung und Förderung der Grund- und Menschenrechte. Eine eigene Klausel kann demokratische Teilhabe über die eigenen Zwecke hinaus explizit ermöglichen.
     
  3. Um demokratisch Engagierte vor Anfeindungen und Bedrohungen zu bewahren, braucht es Schutzkonzepte für zivilgesellschaftliche Akteure. Das umfasst u.a. die Möglichkeit, durch öffentliche Fonds (präventiv) Kosten für Sicherheitsmaßnahmen zu übernehmen, eine gesteigerte Sensibilität bei Behörden, die Betroffene im Fall einer Bedrohung aktiv und umfassend informieren müssen, sowie ein vereinfachtes Verfahren für Melderegistersperren.
     
  4. Die nächste Bundesregierung ist aufgefordert, nach Ende des Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus sicherzustellen, dass der vorgelegte 89-Maßnahmen-Katalog weiter umgesetzt und dauerhaft weiterentwickelt wird.
     
  5. Maßnahmen für Demokratieschutz und gegen Menschenfeindlichkeit können nur in Kooperation von Politik und Zivilgesellschaft auf Augenhöhe entwickelt und umgesetzt werden. Es ist Zeit für einen Demokratiepakt zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Zivilgesellschaft.

Wir bitten die künftigen Koalitionsparteien:

Nehmen Sie Demokratieschutz und konsequentes Handeln gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sowie alle Formen von Demokratiefeindlichkeit verbindlich in den Koalitionsvertrag auf! 
Investieren Sie substantiell in Zivilgesellschaft, politische Bildung und Forschung.

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Amadeu Antonio Stiftung

Die Amadeu Antonio Stiftung reagiert auf eine rechtsextreme Alltagskultur, die sich vor allem in den neuen Bundesländern verankert hat. Das Ziel der Stiftung ist es, eine zivile Gesellschaft zu stärken, die dem Problem entschieden entgegentritt. Dafür unterstützt sie Initiativen und Projekte, die kontinuierlich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus vorgehen, sich für eine demokratische Kultur engagieren und für den Schutz von Minderheiten eintreten. Die wichtigste Aufgabe der Amadeu Antonio Stiftung: Lokale Akteurinnen und Akteure über eine finanzielle Unterstützung hinaus zu ermutigen, ihre Eigeninitiative vor Ort zu stärken. Du findest unsere Arbeit wichtig? Unterstütze uns jetzt mit einer Spende!

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