Klettern im völkischen Terrain
Autor_innen: chronik.LE und Naturfreundejugend Leipzig
Seit einigen Monaten kommt es im und um den Steinbruch Spielberg in Böhlitz (Thallwitz) vermehrt zu Propagandaaktivitäten, Bedrohungen und Angriffen von Neonazis. Diese richten sich hauptsächlich gegen Klettersportler_innen, die häufig aus benachbarten Städten nach Böhlitz anreisen, um dort ihrem Hobby nachzugehen. Vor Ort werden jedoch nicht die Neonazis, sondern Falschparker_innen und Müll als Problem ausgemacht.
„Kampfsport statt Kiffen“, „Jugend ohne Migrationshintergrund“ und „Unsere Stärke heißt Disziplin“. Diese und weitere Slogans neonazistischer Gruppen wie den Jungen Nationalisten[1] und der Jungen Revolution[1] prangen unübersehbar an beinahe jeder Straßenlaterne und jedem Verkehrsschild in dem zu Thallwitz gehörenden Ortsteil Böhlitz. Weniger als 700 Menschen wohnen hier, zwei Bushaltestellen verbinden das Dorf unter anderem mit Wurzen und Eilenburg. Überregional ist Böhlitz vor allem wegen des ehemaligen Steinbrüche Spielberg und Holzberg bekannt, welche in malerischer Atmosphäre zum Klettern und Baden einladen. Das nehmen regelmäßig auch Menschen von außerhalb wahr, was die lokale Neonaziszene stört. Diese versucht nicht nur mit Stickern und Graffiti im öffentlichen Raum das Dorf für sich zu reklamieren. Besonders der Spielberg steht dabei im Fokus.
„Böhlitz bleibt Zeckenfrei!“
Das Ziel der lokalen Neonazi-Szene Böhlitz lässt sich mit der Etablierung einer „national befreite[n] Zone“ [2] beschreiben. Das zu Beginn der 1990er Jahre entwickelte Konzept zielt explizit auf Kleinstädte und ländliche Gebiete und propagiert einen Raum, in welchem der Staat keinen Einfluss hat und stattdessen Neonazis den Ton angeben. Es ginge darum, sanktionsfähig zu sein und „Abweichler und Feinde“ zu bestrafen. Linke, People of Color und alle Menschen, welche nicht in das Weltbild der Neonazis passen, haben in einer solchen Gemeinschaft keinen Platz. In Böhlitz verfolgen Neonazis dieses Ziel mit dem Einsatz körperlicher Gewalt, Bedrohungen und Sachbeschädigungen. Mindestens dreimal werden 2020 Autos angegriffen, die vermeintlichen Linken gehören, und ein höherer Sachschaden verursacht.
Im ersten Fall im Juni 2020 wird bei einem auf dem Parkplatz neben dem Spielberg abgestellten Auto die Heckscheibe mit einem Stein eingeschmissen, der Tankdeckel sowie Antenne und Seitenspiegel werden abgebrochen und sechs neonazistische Aufkleber am Auto angebracht. Die informierte Polizei nimmt die Sticker nach einem Hinweis zur Kenntnis, sichert allerdings keine Spuren.
Im zweiten Fall nur einen Monat später werden von einem alten Feuerwehrauto die Außenspiegel abgeschlagen, alle Reifen aufgeschlitzt, an das Auto uriniert und es wird mit mindestens 20 neonazistischen Stickern beklebt. Der Besitzer des zerstörten Autos wird von einem Polizisten noch vor Ort gefragt, ob er den Vorfall zur Anzeige bringe wolle, es sei sehr unwahrscheinlich, dass Täter_innen ermittelt würden und daher sehr viel Arbeit, die man sich lieber sparen würde. Kurz darauf kommt ein Mann im T-Shirt der rechten Band Frei.Wild vorbei und wird von den Polizisten mit Namen begrüßt. Er fragt den Geschädigten, was er denn hier zu suchen hätte, führt aus, dass er unpolitisch sei, der Spielberg aber „von linkem Zeckenpack“ sauber gehalten werden müsse.
Die Etablierung „national befreiter Zonen“ funktioniert neben Propaganda- und Gewaltdelikten maßgeblich auch über ein Bild, welches von der Kleinstadt bzw. dem Dorf erzeugt wird. In Böhlitz versuchen die lokalen Neonazis dies durch Drohmails an chronik.LE in ihrem Sinne zu beeinflussen. Der Inhalt der Mails macht deutlich, dass sich die Absender_innen klar in der Tradition des historischen Nationalsozialismus sehen. Sich selbst bezeichnen sie wahlweise als „Böhlitzer Hitler Jugend“, „Hitlerjugend Böhlitz“ [3], „die arische Jugend“ oder „Böhlitzer Nationalisten“. Als Absender werden Adolf Hitler oder Michael Wittmann angegeben. Letzterer war Hauptsturmführer der Waffen-SS und gilt als einer der skrupellosesten deutschen Panzerkommandanten des zweiten Weltkrieges. Die bereits angewandte Gewalt gegen Personen, welche nicht in das Weltbild der Neonazis passen, wird legitimiert und weitere Gewalt angedroht, um eine rechte Hegemonie zu erzeugen. Man wolle „kein linkes Dreckspack“, da dieses die Ruhe im Dorf störe (Drohmail vom 01.08.2020). Besonders „Zecken“ und „Anhänger des linken Spektrums“ stehen im Fokus der Neonazis.
„Alle Zecken und linken Schweine, die nach Böhlitz kommen werden diesen Ort nicht ganz verletzungsfrei verlassen. Alle von euch werden es bereuen nach Böhlitz (speziell Spielberg) gekommen zu sein. Mit freundlich Grüßen die Böhlitzer Hitler Jugend“ (Drohmail an chronik.LE vom 25.06.2020)
Lokalpolitik: Alles ganz anders?
Für den parteilosen Bürgermeister von Thallwitz Thomas Pöge liegen die Probleme an anderer Stelle. Böhlitz und speziell der Steinbruch Spielberg würden regelrecht durch auswärtige Kletterer*innen überflutet sehr zum Leidwesen der Anwohner_innen. Dies verursache regelmäßig Parkplatznot, Rettungswege würden zugeparkt und eine starke Vermüllung des Privatgeländes sei zu beobachten. Die hätte in der Vergangenheit zu einer aufgeheizten Stimmung geführt, welche allerdings nicht rechts sei, sondern sich prinzipiell gegen Unordnung richte. Auf die neonazistische Propaganda, Sachbeschädigungen und Angriffe angesprochen wiegelt er ab und will daran keine politische Dimension erkennen. Von den Vorfällen ist ihm in Rücksprache mit der Polizei lediglich der Angriff auf das Auto im Juli 2020 bekannt. Er sei perplex „wie Dinge in die Welt gesetzt werden“.
Lokaljournalismus: Imageschaden begrenzen?
Nachdem die Naturfreundejugend Leipzig, chronik.LE und das Projekt Support des RAA Sachsen e.V. einen gemeinsamen Spendenaufruf zur Unterstützung der beiden zerstörten Autos veröffentlicht haben, berichtete auch die LVZ im August 2020 in ihrem Lokalteil unter der Überschrift „Attacke auf Kletterer am Böhlitzer Spielberg“ über die Vorfälle vor Ort. Vorrangig geht es im Artikel allerdings um die vom Bürgermeister Pöge benannten allgemeineren Auseinandersetzungen zum Steinbruch Spielberg wie zum Beispiel die zugeparkten Zufahrten. Der Autor Haig Latchinian schreibt in einem Kommentar zu seinem eigenen Artikel, dass es jetzt hauptsächlich um schnelle Lösungen gehe, um so den Imageschaden der Region zu begrenzen. Dabei sollte klar geworden sein, dass nicht das Image, sondern die lokalen Neonazis und ihre Ideologie das Problem sind jedenfalls für alle Personen, die nicht in ihr Weltbild passen. Im Gegensatz zu kurzfristigen Lösungen braucht es eine aktive Auseinandersetzung mit Neonazis und ihrer Ideologie auch und besonders vor Ort. Hier sind die Böhlitzer_innen gefragt sich zu positionieren und den Neonazis deutlich zu machen, dass sie Widerspruch für ihre Positionen ernten. Oder gibt es diesen vor Ort nicht?
Im August 2020 veröffentlichten die Naturfreundejugend Leipzig, chronik.LE und das Projekt Support des RAA Sachsen einen gemeinsamen Spendenaufruf und eine Zusammenstellung dokumentierter Vorfälle aus Böhlitz.
Online abrufbar unter: https://www.chronikle.org/inhalt/spendenaufruf-b%C3%B6hlitz
Fußnoten
[1] Sowohl die Jugendorganisation der NPD, die „Jungen Nationalisten“ (JN), als auch das Medienprojekt „Junge Revolution“ versuchen durch ein jugend- und subkulturelles Auftreten anschlussfähig zu sein, verbreiten aber dennoch nur klassische und altbackene neonazistische Ideologie.
[2] Das Konzept der „national befreiten Zonen“ geht maßgeblich auf die Artikel „Strategie. Der Aufbau einer nationalistischen Gemeinschaft“ (in: Einheit und Kampf 1990) und „Revolutionärer Weg konkret: Schafft befreite Zonen“ (in: Vorderste Front. Zeitschrift für politische Theorie und Strategie 1991) zurück. Eine kurze Einführung zur Thematik liefern Christoph Schulze und Ella Weber in ihrem Buch „Kämpfe um Raumhoheit. Rechte Gewalt, ›No Go Areas‹ und ›National befreite Zonen‹“.
[3] Mutmaßlich als Abkürzung für „Hitlerjugend Böhlitz“ dient HJB. Ein Graffiti mit diesen drei Buchstaben prangt auf einem Stein neben dem Eingang zum Steinbruch Spielberg.
Vorfälle Böhlitz 2020
11. Oktober 2020 Auto mit faulen Eiern beworfen
Als eine Person im Steinbruch „Spielberg“ in Böhlitz klettern geht, wird ihr Auto Zielscheibe eines Angriffs mit fauligen Eiern. Diese werden auf die Frontscheibe des Busses geworfen.
07. August 2020 Neonazistische Aufkleber in Böhlitz geklebt
In Böhlitz werden im gesamten Dorfkern neonazistische Aufkleber an Laternenpfosten und Straßenschildern angebracht. Die Sticker sind von verschiedenen Neonaziorganisationen wie den „Jungen Nationalisten“ (Jugendorganisation der NPD) und der „Jungen Revolution“.
01. August 2020 Erneut Drohmail von Böhlitzer Neonazis
Das Dokumentationsprojekt chronik.LE erhält erneut eine Drohmail von „Böhlitzer Nationalisten“. In der Mail beziehen sich die Neonazis positiv auf zwei mutmaßlich von ihnen zerstörte Autos. Weiterhin führen sie aus, dass sie „kein linkes Dreckspack“ wollen, welches ihnen ihr Böhlitz kaputt machen würde. Die Mail schließt mit einer Drohung an chronik.LE.
23. Juli 2020 Erneut Auto in Böhlitz demoliert
Ein altes Feuerwehrauto wird am Steinbruch Spielberg in Böhlitz stark beschädigt. Es werden alle Reifen zerstochen, die Spiegel abgeschlagen, gegen das Auto uriniert und neonazistische Sticker auf diesem angebracht. Die Polizei nimmt eine Anzeige vor Ort nur halbherzig auf und führt aus, dass ja noch längst nicht geklärt sei, dass dies tatsächlich Neonazis waren. Weiterhin fragt ein_e Polizist_in den_die Anzeigensteller_in was er_sie denn überhaupt hier zu suchen habe.
25. Juni 2020 Drohmails Böhlitzer Neonazis an chronik.LE
Nachdem die Dokumentationsplattform chronik.LE über die Angriffe und neonazistische Propaganda in Böhlitz (Landkreis Leipzig) berichtet hatte, bekommt das Projekt mehrere Hassmails. Die Verfasser*innen bezeichnen sich darin selbst als arisch und unterzeichnen mit „Böhlitzer Hitler Jugend“. Außerdem kündigen sie an „jede Zecke anzugreifen“, die in ihr „arisches Böhlitz kommt“.
22. Juni 2020 Auto in Böhlitz von Neonazis beschädigt
Am Abend wird ein Auto am Steinbruch „Spielberg“ von Neonazis stark beschädigt. Bei dem geparkten Auto wird mit einem Stein die Heckscheibe eingeworfen. Der Tankdeckel, die Antenne und die Seitenspiegel werden abgebrochen, sowie sechs Aufkleber der „Identitären Bewegung“ auf der Frontscheibe, den Seitenspiegeln, dem Kofferraum und auf der Stoßstange angebracht. Offensichtlich störten sich die Neonazis an den eigentlichen Aufklebern auf dem Auto, auf denen „Solidarity“ und „Bleiberecht“ stand.
15. Juni 2020 Neonazistischer Angriff in Böhlitz
In der Nacht zu Dienstag überfallen Neonazis mehrere Personen, die am Steinbruch „Spielberg“ in Böhlitz (Ortsteil von Thallwitz bei Wurzen) zelten. Die Truppe aus 13 Personen kommt zunächst gegen 21.30 Uhr an den Steinbruch. Sie hören Lieder der als kriminelle Vereinigung verbotenen Band Landser und singen lauthals mit. Dabei werden auch Parolen wie „Zecken jagen“ oder „Scheiß Zecken“ gerufen. Gegen 22.30 Uhr verlassen sie den Ort. Die anderen Personen rufen ihnen „Nazis raus“ hinterher. Gegen Mitternacht tauchen die Neonazis wieder auf. Sie bewerfen die Personen im Steinbruch mit Feuerwerkskörpern und rufen: „Wir kriegen euch alle!“ und „Zecken verjagen!“ Es sind mehrere laute Knallgeräusche zu hören, die möglicherweise von einer Schreckschusswaffe stammen.
05. Mai 2020 Nazi-Aufkleber in Lossatal und Wurzen
In der Gemeinde Lossatal bei Wurzen werden seit einigen Wochen Aufkleber der Neonazi-Gruppierung „Junge Revolution“ (JR) geklebt. In Röcknitz und Böhlitz (beides Ortsteile von Tallwitz) sowie Hohburg sind diese ebenfalls zu finden. Im Böhlitzer Steinbruch wurde der Slogan „Nazi Kiez“ gesprüht. Auch in Wurzen tauchen JR-Aufkleber mit dem Slogan „Nazis-Sex-Leipzig“. Die Sticker sind hier u.a. im Umfeld des Linke-Büros in der Friedrich-Engels-Straße verklebt.
22. März 2020 Nazi-Schmierereien am Steinbruch Spielberg in Böhlitz
Auf dem Weg zum Böhlitzer Steinbruch werden diverse menschenverachtende Graffiti gesprüht. In einen Schriftzug wird dazu aufgerufen, linksorientierte Menschen, die als „Zecken“ abgewertet werden, zu töten. Unweit davon finden sich auch Sticker der selbsternannten „Identitären Bewegung“. Außerdem findet sich die Aufschrift „Juden“ und „intolerance“. An einem weiteren Schild ist mit einem Stift „Anti-Antifa“ getaggt. Einige der Schmierereien befinden sich vermutlich bereits seit längerem vor Ort.