Bei der RAA Opferberatung Sachsen e.V.

Was tun nach einem rechten Überfall? Die RAA Opferberatung Sachsen berät und hilft – vertraulich und kostenlos.

Foto: RAA Opferberatung Sachsen e.V

270 rechtsmotivierte Übergriffe in Sachsen im Jahr 2016 – und das allein bis September. Das bedeutet: Im Durchschnitt greifen jeden Tag Rechte bzw. Rassisten einen Menschen an.

Zumeist betroffen sind Geflüchtete und ihre Unterstützer_innen, politisch Engagierte und Politiker_innen – seit 2015 auch vermehrt Journalist_innen.

Doch was können die Betroffenen rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt nach einem Angriff tun? Wie fertig werden mit der Angst und den psychischen Belastungen? Welche rechtlichen Möglichkeiten gibt es? Anzeige erstatten, als Nebenkläger auftreten, Schmerzensgeld oder Opferschutz bekommen? Bei diesen Fragen hilft die RAA Opferberatung Sachsen e.V.. Sie unterstützt die Betroffene – ebenso wie deren Umfeld und die Zeugen. Die mobilen Mitarbeitender informieren und beraten über rechtliche Möglichkeiten. Sie begleiten die Betroffenen zur Polizei oder Rechtsanwält_innen und unterstützen vor und während des Prozesses gegen die Täter_innen. Auch was die Prozesskosten angeht. Zudem helfen sie bei der Verarbeitung des Erlebten oder vermitteln Therapeuten. Die Beratung ist vertraulich bzw. anonym und kostenlos, digital oder beim persönlichen Gespräch. Bei Bedarf werden Sprachmittler hinzugezogen.

Das Wohl der Betroffenen steht im Vordergrund. Die Beratung richtet sich komplett nach ihren Wünschen und Bedürfnissen. Ganz egal, ob sie Anzeige erstatten möchten oder lieber nicht.

„Wir sind parteilich, dass heißt wir sind auf der Seite der Betroffenen. Wir unterstützen ihre Perspektive und ihre Interessen,“ so Andrea Hübler von der RAA Opferberatung Sachsen. Mit ihr sprachen wir über den drastischen Anstieg rechtsmotivierter Gewalt in den letzten Jahren – und was Sachsen jetzt tun muss. Im Gespräch mit …Andrea Hübler von der RAA Opferberatung Sachsen e.V.

Die jüngsten Entwicklungen? – Drastischer Anstieg der Gewalt

„Seit 2013 nehmen wir einen massiven Anstieg rechter Gewalttaten wahr“, so Hübler. 2015 verzeichnete die RAA Sachsen gar eine Verdopplung der Übergriffe im Vergleich zum Vorjahr: 477 Angriffe mit 654 Betroffenen (vgl. die jährliche Statistik der RAA). Diese Entwicklung setzt sich 2016 fort, so Hübler.

Auch die neue Qualität der Gewalt ist besorgniserregend: Mehr Waffengewalt und ein höherer Grad an Organisierung, wie beispielsweise bei der terroristischen Gruppe in Freital, die gezielt Sprengstoffanschläge begingen. Die steigende Hemmungslosigkeit zeigt sich auch daran, welche Gruppen verstärkt von rechter Gewalt betroffen sind. „Wir hatten noch nie so viele Kinder unter den Betroffenen. Die sind zum Teil jünger als 14 Jahre“, so Hübler.

Die Gründe?

Aus politischer Sprache wird Handeln – der Rechtsruck in Sachsen

Seit dem Aufkommen von PEGIDA und asylfeindlichen Protesten rückt der politische Diskurs im Land nach Rechts. „Wir haben in der Bevölkerung 20-25 Prozent Zustimmung zu rassistischen Aussagen. Diese Einstellungsebene wurde noch befeuert durch die rassistischen Demonstrationen und Hetze auf der Straße – und das setzt sich dann in Handeln um. Es führt zu Gewalt, zu Molotowcocktails auf Asylbewerberheime, Messerangriffen oder Sprengstoffanschlägen“, so Hübler.

Kein Problembewusstsein bei Politik und Gesellschaft

„Was in Sachsen vollends fehlt, ist ein Ernstnehmen der Problematik“, stellt Hübler fest. Seit Jahrzehnten verschließen Gesellschaft und Politik die Augen vor dem Problem. Der ehemalige Ministerpräsident Kurt Biedenkopf attestierte den Sachsen gar eine Immunität gegen Rechtsextremismus. „Da freuen wir uns heute schon, wenn Ministerpräsident Tillich im März 2016 vor dem Bundesrat das Problem erstmals eingesteht“, so Hübler, „Aber abgesehen von seinen gezwungenen Worthülsen sind bis heute keine adäquaten Maßnahmen erfolgt. So werden die Opfer rechter Gewalt letzlich weiterhin im Stich gelassen.“

Was tun?

„Wir müssen endlich dahin kommen, dass das Problem rechter und rassistischer Gewalt als solches anerkannt wird – von der Gesellschaft wie auch allen Ebenen der Politik“, fordert Hübler.

Probleme frühzeitig wahrnehmen und präventiv handeln

Heidenau, Freital oder Bautzen – die fremdenfeindlichen Ausschreitungen waren abzusehen. „In Bautzen berichten uns Betroffene und Engagierte seit April 2016 von permanenten Provokationen organisierter Neonazis gegenüber den Geflüchteten. Die Probleme wurden angesprochen – aber von staatlicher Seite ist gar nicht oder zu spät reagiert worden.“, bedauert Hübler. „Wir brauchen Institutionen, die solche Problemanzeigen ernst nehmen und bearbeiten – bevor es eskaliert.“

Langfristige Strategien

Zudem braucht es ein nachhaltiges Konzept des Landes zur Bekämpfung von Neonazismus, Rassismus und anderen Vorstellungen der Ungleichwertigkeit. Die Ergebnisse des Sachsenmonitors machen das einmal mehr deutlich. „Es braucht langfristige Maßnahmen. Dafür muss man auch Geld in die Hand nehmen. Und das betrifft neben zivilgesellschaftlichen Projekten explizit auch staatliche Institutionen wie Polizei, Justiz oder Schule und Universität“, so Hübler. Und man sollte bei der Planung diejenigen einbeziehen, die seit Jahrzehnten an dem Thema arbeiten. „Die haben verschiedene Strategien ausprobiert. Die haben die Expertise und eine Idee davon, welche Konzepte sinnvoll sind.“

Beratungsangebote an Bedarf anpassen

Bislang ist die finanzielle und strukturelle Ausstattung der Beratungsstellen völlig unzureichend. „Wir haben sachsenweit nur drei Büros. Die bekommen jede Woche je fünf bis sechs neue Fälle. Eine sinnvolle Opferberatung ist aber ein längerer Prozess. Wie sollen wir das schaffen, wenn die Woche drauf wieder fünf neue Fälle hinzukommen. Eine adäquate Unterstützung der Betroffenen ist mit unseren jetzigen Ressourcen eigentlich nicht möglich“, fasst Hübler zusammen. Die Hilfesuchenden wegschicken können sie aber auch nicht. Das würde allen Ansprüchen zuwiderlaufen, die sich „unsere Gesellschaft und Politik gegeben hat, spätestens seit dem NSU: Dass es flächendenkend niedrigschwellige Beratungsangebote für Opfer rechter Gewalt geben muss.“

Opferperspektive in den Fokus rücken – Opferrechte umsetzen

„Auf der Gesetzesebene ist in Bezug auf Opferrechte schon viel geschehen. Das einzige Problem: Die Rechtsvorgaben müssen auch umgesetzt werden“, kritisiert Hübler. So gäbe es Fälle, bei denen Polizeibeamte der RAA die Begleitung von betroffenen Zeugen verwehren – ohne Begründung. Diese Praxis verstößt gegen geltendes Recht.

„Es finden auch Prozesse statt, bei denen die Betroffenen nicht einmal gehört werden. Obwohl es ihnen sehr wichtig wäre, als Zeugen auszusagen.“ Die Opferperspektive ist im Prozess eigentlich nötig für die Bewertung der Tat und ihre Folgen. Manche Gerichte verzichten darauf – aus Gründen der Prozessökonomie.

Sich gegenüber Justiz und Polizei für die Interessen und Rechte der Opfer einsetzen – auch diese Lobbyarbeit macht die RAA. „Die Betroffenen haben oft nicht die Kraft dafür, nach einem Angriff auch noch für ihre Rechte zu kämpfen“, weiß Hübler. Wünsche an das Netzwerk Tolerantes Sachsen?

Die RAA Opferberatung Sachsen engagiert sich seit Beginn im Sprecher_innenrat für die Vernetzung und den Austausch der zivilgesellschaftlichen Initiativen im Land – und für die gemeinsame Lobbyarbeit.

„In Sachsen müssen es sich engagierte Vereine und Initiativen hart erkämpfen, von Politik und Gesellschaft ernst genommen zu werden. Wenn das jeder für sich macht, ist es aussichtslos. Das geht nur gemeinsam – mit so einer Plattform wie dem TolSax“, skizziert Hübler ihre Motivation. Auch wenn die Netzwerkarbeit im kräftezehrenden Alltag oft untergeht, möchte sie alle Mitglieder daher einladen, die Vorteile des Netzwerks wieder aktiv zu nutzen.

Wissen austauschen – gemeinsam handeln

Wenn Mitglieder mit einem Problem zu kämpfen haben, finden sie im Netzwerk Unterstützung.

„Für uns als RAA heißt das zum Beispiel: Wenn sich in einer Region die Situation rechter Gewalt und Bedrohungen immer mehr zuspitzt, dann nutzen wir das Netzwerk. Welche Initiativen vor Ort haben Hintergrundinformationen? Welche Unterstützung gibt es von anderen Stellen? Und dann können wir uns alle zusammensetzen und mögliche Lösungen erarbeiten“, beschreibt Hübler die Vorteile. „Das heißt auch für die kleinen Initiativen, dass sie ihre Sachen nicht alleine machen müssen, sondern auf Partner_innen aus dem Netzwerk zurückgreifen können.“

Die Stimme erheben

Zwei Jahren PEGIDA in Dresden. Die Zunahme rassistischer Einstellungen. Der massive Anstieg rechter Gewalt. „Es braucht jetzt einen gesellschaftlichen Aufschrei!“ Das Netzwerk sollte gemeinsam die Stimme erheben, und Gesellschaft wie auch Politik für die Probleme sensibilisieren.

„Wir reagieren meist ad hoc auf Ereignisse oder Entwicklungen. Wir sollten uns mal zusammensetzen und eine lang- bzw. mittelfristige Strategie entwickeln: Was sind unsere Grundpositionen zu welchen wichtigen Themen“, so Hübler. Dafür lädt sie alle Mitglieder im Netzwerk ein. „Besonders die kleinen Initiativen im ländlichen Raum sollten sich da nicht scheuen, ihre Ideen und Themen einzubringen.“

Themenideen für Regionaltreffen TolSax Konkret

Kritische Aufarbeitung der Ereignisse in Bautzen

Die jüngsten Ereignisse in Bautzen sind in vielerlei Hinsicht symptomatisch für die Situation in ganz Sachsen – und bedürfen unbedingt einer Aufarbeitung.

Das Organisations- und Mobilisierungspotential der Rechten in der Region wurde unterschätzt. Deren permanente rassistische Provokationen gegenüber den Asylsuchenden wurde ignoriert. Notwendige präventive Maßnahmen wurden versäumt. Als es dann zu den Ausschreitungen im September kam, wurde die Schuld bei den Unbegleiteten Minderjährigen Asylsuchenden gesucht.

Hübler:„Es ist mir unbegreiflich: Man kann unwidersprochen öffentlich behaupten, dass 20 Flüchtlinge 80 Nazis angegriffen haben. Letztere wurden vom Pressesprecher der Polizei als ‚eventbetonte Jugendliche‘ dargestellt. Und warum kommt das Landratsamt damit durch, Ausgangssperren gegen die Geflüchteten zu verhängen – und ihnen damit auch die Teilnahme an Demonstrationen und dem Bürgerfest in Bautzen zu verwehren“, kritisiert Hübler. Dort hätten die Betroffenen der rechten Gewalt endlich eine Stimme bekommen.

„Bautzen kann sich überall in Sachsen wiederholen“, warnt Hübler. Auf einem der Regionaltreffen sollten wir uns darauf vorbereiten.

Kontakt

RAA Opferberatung Sachsen e.V.

Beratungsstelle Dresden
Bautzner Straße 45
01099 Dresden

E-Mail: opferberatung.dresden@raa-sachsen.de

Tel: (0351) 88 9 41 74

Mobil: (0172) 9 74 12 68

Beratungsstelle Chemnitz

Henriettenstraße 5
09112 Chemnitz

E-Mail: opferberatung.chemnitz@raa-sachsen.de

Tel: (0371) 4 81 94 51 

Mobil: (0172) 9 74 36 74

Beratungsstelle Leipzig

Peterssteinweg 3
04107 Leipzig

E-Mail: opferberatung.leipzig@raa-sachsen.de

Tel: (0341) 2 25 49 57

Mobil: (0178) 5 16 29 37

Facebook

Onlineberatung im Chat

Einfach Nickname und Passwort eingeben und schon kann es losgehen.
(24.10.2016)


Das Interview wurde im Rahmen unserer TolSaxOnTour (2016 und 2017) geführt. Zur Übersicht der Stationen

Tolerantes Sachsen | Mitglieder und Analyse

In Eurer Region gibt es ein Problem, für dessen Lösung Ihr Unterstützung aus dem Netzwerk benötigt? Ihr möchtet Missstände bei Euch vor Ort publik machen? Ihr sucht Verbündete, um Euren Forderungen mehr Gewicht zu verleihen? Sprecht uns an!

Mastodon